30 Mrz 2015

Von Platon zu Friedeburg. Eine Denkschrift

von Pan Pawlakudis

 

Friedeburg, Adorno und Habermas sind die wichtigsten Philosophen der modernen Dialektik. Die wenigsten kennen Ludwig von Friedebrug als den Vater der Gesamtschule, ein Modell, das das dreigliedrige Schulsystem ablösen sollte.

Erst nach Drängen Adornos und Habermas entschloss sich von Friedeburg Berlin – ungern – zu verlassen und nach Frankfurt zu ziehen. Er sollte als Quereinsteiger, der unpolitisch und parteilos war, das Ministerium für Kultur und Bildung übernehmen, was er auch tat. Von Friedeburg brauchte nicht überzeugt zu werden, dass das etablierte Schulsystem reformiert werden musste. Bis dato wurde den Schülern die Gesellschaft vermittelt, ab dann sollte die Gesellschaft verändert werden! Entgegen damaliger Standesdünkel und Klassendenkens erwies sich von Friedeburg als weitsichtig und nicht kurzfristig Denkender.

Eine Gesellschaft begreift sich im stetigen Wandel. Die Bedürfnisse der Menschen ändern sich laufend, dem zufolge sich auch individuelle Lösungen finden müssen. Alle drei Philosophen respektierten die Individualität und kritisierten die gesellschaftlichen Verhältnisse, der Zeit nach 1948. Sie widersprachen der Idee einer „verwalteten Welt“ wo jedem ein Platz zugewiesen wird, auch wenn Intellekt und Fähigkeiten dem widersprächen.

Die „Verwaltung der Welt“ ist ein erkanntes Phänomen und findet ihre Quellen in diktatorischen Schematas. Das Pendant zur Uniformgesellschaft ist die absolute Freiheit, unlängst auch als Tyrannei verstanden werden kann, wenn sie so verstanden wird, dass die Individualität genauso leidet wie unter der Uniformität. Den feinen Zustand dazwischen vermag eine Gesellschaft nur dann zu erreichen, wenn sie sich bildet und stetig wandelt. Stagnation in eine Form, bedingt die Ablehnung der anderen!

Gesellschaftskritik, Moralphilosophie und Bildungsideale. In drei Schritten könnte man grob die Entwicklung einer imaginären Modellgesellschaft beschreiben. Der ideale Zustand führt aber zwangsläufig in die dekadente „Ist-Gesellschaft“ wenn sie stagniert. Sie kann wiederum  nur durch philosophische Anstrengung auf den „richtigen“ Pfad zurückgeführt werden.

Platons „Politeia“ ist für das 21. Jahrhundert immer noch von großem Wert, denn selbst die vermeindlich gerechteste existente Staatsform, die moderne repräsentative Demokratie, löst nicht alle Probleme. Die Gefahren für die Gemeinschaft eines enttabuisierten Strebens nach  Eigennutz werden an der weltweiten Armut offenbar. Ein gewisses Verständnis für Platons Philosophie müsste teilen, wer die bildungsferne „mediale Verwahrlosung“ der Jugend beklagt, wer sich vor der demagogischen Macht der Boulevardpresse fürchtet und wen die mangelnde Bildung der Massen schockiert.

Politische Mitbestimmung in der Hand von ahnungslosen, desinteressierten, des- und uninformierten, derweil uniformierten und vor allem ungebildeten Bürgern, birgt eine, heute wie damals, latente Gefahr, was weder für Platon noch sonst irgendjemanden bedeutet, dass die Mitbestimmung als Monopol eines totalitären Regimes eine Lösung wäre. Die Probleme unserer Zeit sind leicht mit denen in Platons Epoche zu identifizieren. Die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche sind heute wie damals dieselben!

In einer Zeit politischer Ratlosigkeit, in der der Mangel an Ideen und Idealen durch das Propagieren konsequentester ,,Laisser-faire Politik“ überspielt wird und das Wort Utopie im Volksmund fast gleichbedeutend mit Spinnerei oder Träumerei ist, scheint die Beschäftigung mit fast 2500 Jahre alten Gesellschaftsidealen vielen für überflüssig. Annähernd allen Utopien, von Platon bis Marx, haftet der Geruch des Totalitären an.

Die Menschen, so die vorgeschobenen Vorwürfe, seien in den Utopien nur unmündige Rädchen in einer zwangsharmonischen Planwirtschaft. Thomas Mores „Utopia“ wurde vielmals einer kommunistischen Lesart unterzogen und in entsprechender Weise kritisiert und Platon von Karl Popper als Wegbereiter des modernen Totalitarismus diffamiert.

Ohne Regeln gibt es keinen positiven Wandel. Die Kritiker von Utopien verstehen sich als Realisten, was nichts anderes bedeutet, als dass sie gerne den aktuellen Zustand beibehalten würden. Die Folgen, die wir zurzeit erdulden müssen, sind jedoch das Resultat ungehemmten, egoistischen und habsüchtigen Strebens. Verfechter des Realismus verlangen daher, Gesellschaftsform auf Konkurrenz um Materie und gesellschaftliches Ansehen zu reduzieren. Ein Streben, das von fast allen großen Weltreligionen verdammt und von vielen, auch rationalen Denkern, verachtet wurde, wird zum beherrschenden Prinzip erhoben.

Der moderne Mensch resigniert vor den seit Urzeiten ungelösten Problemen menschlichen Zusammenlebens, verleugnet die Errungenschaften von Generationen von Denkern und Mystikern und stiehlt sich letztlich auf diese Weise aus der Verantwortung, an sich selbst das eigene Menschenbild zu reflektieren und den Menschen zu verbessern. Die Schuld für das Scheitern von Idealen wird den Idealisten zugeschoben; zu positives Menschenbild, zu totalitär, Beschneidung der Freiheit etc.

Auch dem Ideal, das Platon in seiner „Politeia“ von der Form der Organisation des Zusammenlebens zeichnet, können entsprechende Vorwürfe gemacht werden. Platons Ansätze klingen für den modernen Leser nach Klassengesellschaft, Zensur, Gehirnwäsche,  Freiheitsbeschneidung und überhaupt nach Zwangsmaßnahme und machen in der Tat hellhörig. Sie machen auch die Empörung Karl Poppers verständlich, wenn sie auch nicht vollständig zu rechtfertigen ist. Weder Platon noch die meisten anderen Utopisten haben dafür plädiert, ihre ideale Gesellschaft zu erzwingen. Platons Staatsutopie ist ein Teil seiner philosophischen Ansichten über Harmonie und Gerechtigkeit in der menschlichen Seele und in der Gesellschaft. Platons Werk kann daher nicht wie ein politisches Programm behandelt werden. Im Gegenteil: Es ist im Charakter apolitisch, so wie Platons Leben bewusst unpolitisch war.

Das heißt nicht, dass sich Platon nicht auf seine Weise einmischen wollte und dies auch tat. Die Politeia kann als kritischer Spiegel der Attischen Gesellschaft im 4. und 5. Jahrhundert gelesen werden und ist fast in Gänze auf die heutige Zeit übertragbar. Platon handelt darin viele der Aspekte ab, die nach seiner Auffassung zum Niedergang und zum Verfall von Moral und Sitten geführt haben. Das Werk ist entschieden demokratiekritisch, weswegen es von Popper zum Feind der offenen Gesellschaft erklärt worden ist.

Platons Kritik des damaligen Establishments als auch seine Ideen sind nicht immer absolut neu und bahnbrechend gewesen. Andere Philosophen und Denker vor ihm, zu denen er teilweise im Gegensatz stand, hatten bereits ähnliche Gedanken und Ansichten, die er übernahm und weiterentwickelte.

Adorno, Habermas und vor allem von Friedeburg haben das über Jahrhunderte gepflegte Denken einer Idealgesellschaft auf unsere Zeit komprimiert übertragen. Ihre Schriften sind es wert gelesen zu werden!

 

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