14 Sep 2016

Freihandelsabkommen TTIP und CETA

von Pan Pawlakudis

 

Angriff auf Demokratie, Sozialstaat, Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz?

Gegen die „neue Generation“ von neoliberalen Freihandelsabkommen hat sich die größte europäische Bürgerbewegung seit Bestehen der EU formiert: Ein Bündnis von über 500 Organisationen, darunter Gewerkschaften, Sozialverbände, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen, mittelständischen Unternehmen, Kirchen uvm.

Mit fast 3 Millionen Unterschriften und 250000 Demonstrationsteilnehmern in Berlin sowie 2000 Ratsbeschlüssen von Kommunalparlamenten in ganz Europa begehren die Menschen auf. Sie wehren sich gegen die geheim verhandelten Verträge TTIP und CETA, die von Völkerrechtlern und Verfassungsrechtlern für verfassungswidrig erklärt werden, weil die demokratische Gewaltenteilung ausgehöhlt und der Primat der Politik durch den Primat der Wirtschaft abgelöst werden würde.

Die EU-Kommission will dem Bundestag und den Nationalparlamenten dennoch die parlamentarische Beteiligung verweigern und das CETA-Abkommen zumindest vorläufig in Kraft setzen. Für den 17. September 2016 wird deshalb zu einer Großdemonstration in 7 deutschen Großstädten aufgerufen. Zu genau diesem Thema lud der DGB Region Emscher-Lippe, das Institut iWiPo und die Katholische Arbeitnehmer Bewegung Herten (KAB), am 12. September 2016, zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung in die Tiöns-Klause nach Herten ein. Durch die Podiumsdiskussion führte der Organisationssekretär des DGB Region Emscher-Lippe, Hans Hampel.

 

Resümee

Das Resümee der gestrigen Podiumsdiskussion in der Hertener Tiöns-Klause kann in diesem kurzen Satz Wilhelm Neurohrs zusammengefasst werden: Vorteile sind marginal und nutzen wenigen, Nachteile sind erdrückend und betreffen alle.

Michael Groß (MdB SPD) stimmte dem Statement Wilhelm Neurohrs (iWiPo) im Kern zu und ergänzte, dass den Nationalparlamenten soweit die Hände gebunden bleiben, solange der Europäische Gerichtshof nicht entschieden hat, ob es sich bei TTIP und CETA um gemischte Abkommen handelt. Reine Handelsabkommen, resp. Handelsverträge, werden ausschließlich von der EU-Kommission ausgehandelt, so, wie im Lissabonvertrag vereinbart wurde. Gemischte Verträge berühren dagegen auch nationale Themen (Kommunale Selbstverwaltung, Soziales, Gesundheit, Bildung uvm.) und müssen durch die Nationalparlamente gehen.

Der ehemalige Europa-Abgeordnete Jürgen Klute bekam Zustimmung auch von seinen Mitdiskutanten am Podium, dass es für einen  fairen Handel anders ausgerichteter Freihandelsverträge bedarf, die man dann nicht generell ablehnen könne. Das Souveränitätskonzept des Westfälischen Friedens und die daraus resultierenden basisdemokratische Konzepte, stehen jedoch heute zur Disposition. Spätestens durch den Holocaust, durch die Nürnberger Prozesse und durch die aktuelle Debatte um Menschenrechte (Anm.: Diskussion über eine Flüchtlingsobergrenze) ist das Souveränitätskonzept des Westfälischen Friedens obsolet geworden. Klute wies darauf hin, dass das EU-Parlament  durchaus in der Lage und befähigt ist TTIP und CETA abzulehnen, wenn sich die Mehrheit der Parlamentarier dafür entscheidet. Weder er noch Michael Groß sind Gegner von Handelsverträgen, aber TTIP und CETA sind Freihandelsabkommen moderner Art und greifen tief in demokratische Bürgerechte ein. Es ist unmöglich die daraus resultierenden Konsequenzen in Gänze zu erfassen.

Wilhelm Neurohr bezweifelte aber, dass die derzeitigen Entwürfe von CETA und TTIP und die Verhandlungsführer und eingebundenen Lobbyisten dazu geeignet und willig seien, sondern forderte eine politische Ablehnung beider Verträge und einen vollständigen Neubeginn der Verhandlungen unter Einbezug der Zivilgesellschaft und unter Ausschluss der Lobbyisten.

Michael Groß betonte, dass auch er eigentlich gegen das CETA-Abkommen sei, schätzte aber die Mehrheitsverhältnisse in der SPD so ein, dass sie auf dem bevorstehenden Konvent dem strittigen Kompromissvorschlag des Parteivorsitzenden und Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel folgen würden, der CETA im EU-Ministerrat befürwortet und aussichtslose „Nachverhandlungen“ vorschlägt, obwohl die von der SPD mit dem DGB beschlossenen „roten Linien“ damit überschritten würden.

Daraufhin warf Wilhelm Neurohr, der auch bei ver.di und Attac engagiert ist, der SPD unter dem Beifall der Zuhörer vor, sie habe mit der Agenda 2010 bereits „ihre soziale Seele verkauft“ und würde mit der Zustimmung zu CETA nun auch „ihre demokratische Seele verkaufen“; damit würde die einstmals „sozialdemokratische“ SPD zu einer „seelenlosen Partei“, die sich vom neoliberalen Kurs nicht verabschieden wolle und mit CETA die „Selbstentmachtung der Parlamente“ betreibe. Davon sei auch die kommunale Ebene mit den Stadträten betroffen. Mit CETA würde „jede demokratische und parlamentarische Entscheidung künftig auf den Prüfstand des Wettbewerbsrechtes gestellt. Prüfer sind dann die Konzerne, die neben den Staaten oder an ihrer Stelle  ein eigenes Rechtssystem etablieren, dem sich alle zu unterwerfen haben.“ Damit würde verfassungswidrig der Primat der Politik endgültig durch den Primat der Wirtschaft abgelöst und die marktkonforme Demokratie Angela Merkels zur Realität.“

2011 sagte der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Der globalisierten und immer enger vernetzten Welt kann der Nationalstaat im klassischen Sinne kaum noch gerecht werden. Das seit dem Westfälischen Frieden entwickelte Souveränitätsprinzip gewährt keine hinreichende Stabilität. Nationalstaatliche Regelungsmonopole und das Interventionsverbot reichen nicht mehr aus in den globalen Interdependenzen. Der Nationalstaat kann die großen Probleme und Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr allein lösen. Dazu bedarf es neuer Formen des Governance (des Regierens).“

(Quelle: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Namensbeitrag/2014/05/2014-05-21-schaeuble-faz.html)

Ist die neue Generation von Freihandelsabkommen, in Form von TTIP und CETA, die sehr tief in das soziopolitische Dasein der Menschen hinein greifen, Teil der postdemokratischen Vision Wolfgang Schäubles?

 

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