21 Nov 2016

Von der Hochschule zum Unternehmer

von Pan Pawlakudis

 

Warum die Förderung und der Support von Hochschulabsolventen in Zeiten der Wirtschaftsdisruption wichtig ist

Die Transformation einer von der Schwerindustrie der Steinkohle, des Stahls und der Chemie geprägten Region, die es insbesondere auch aufgrund der Komplexität von Abläufen und Prozessen sowie  aufgrund der stetig wachsenden Bedarfe an Wissenstransfer und Wissensoptimierung, zu einem ordentlichen Teil versäumte, die Dynamik der Globalisierungsentwicklung als gegebene mathematische Größe zu erkennen, stattdessen weiterhin längst vergangenen Pionierleistungen und Prägungen nachtrauert, nötigt die Neuformulierung ökonomischer und soziopolitischer Modelle.

Forschung, Entwicklung, Produktion und Handel bedürfen einer Definitionsrenaissance und der Feinjustierung von Prioritäten. Das Ruhrgebiet kann Zukunft! Sie findet sich im eigenen menschlichen Potential und in der ausgezeichneten Hochschullandschaft, der eine besondere Beachtung zu schenken ist.  „[…] die Digitalisierung der Wirtschaft birgt enorme Chancen. Zum einen ergeben sich durch neue Technologien Geschäftsmöglichkeiten, zum anderen sind deutsche Konzerne und Mittelständler unsicher, wie genau sie diese Potenziale heben sollen.“ Managerkreis der FES (Friedrich-Ebert-Stiftung).

Die Zivilgesellschaft, die Politik und die Wirtschaft sind sich mittlerweile und weitestgehend einig darüber, dass dieses Potential nicht in der Region gehalten werden kann, wenn die beruflichen Perspektiven und die angebotenen Rahmenbedingungen unattraktiv bleiben oder sich gar verschlechtern.

 

Das digitale Zeitalter    

…auch als 4. Industrielle Revolution bekannt, beginnt mit der Etablierung der elektronischen Text- und Datenverarbeitung. Die Computer- und Mikroprozessortechnik erfährt seit den 1980. Jahren eine solch rasante Entwicklung, dass eine Offensichtlichkeit zu wenig beachtet wurde: Die Veränderung der klassischen Produktion und Dienstleistung sowie die Definition von Arbeit und die Konsenskorrektur weiter Lebensbereiche. Die deutsche Wirtschaft bemüht sich mit diesem Trend Schritt zu halten, ist zunehmend innovativ und sichert in eigenen Gründungszentren (Digital-Labs) die eigene Zukunft:

„Deutsche Unternehmen sind hervorragend im Bereich von inkrementellen Innovationen, die sich in Forschung und Entwicklung (FuE) abspielen und Optimierungs- oder Effizienzsteigerungs-Output mit sich bringen. Demgegenüber stehen radikale, disruptive Innovationen, die im klassischen Umfeld von Konzernen und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) schwer zur Entfaltung kommen. Zum einen versagen klassische Planungsmethoden, zum anderen sind die Konzernmärkte von morgen bislang noch zarte Pflänzchen mit einer steilen Wachstumskurve und nicht zuletzt leisten oftmals die Mitarbeiter_innen selbst ihren Beitrag, dass sich hoffnungsvolle Ideen im Unternehmen nicht adäquat umsetzen lassen. Deswegen sind Digital Labs heute ein elementarer Bestandteil der Digitalisierungsstrategien deutscher Konzerne und Mittelstandsunternehmen. Über sechzig Digital Labs werden derzeit in Deutschland betrieben oder stehen kurz vor der Inbetriebnahme. Bis 2020 werden viele weitere Unternehmen Digital Labs aufbauen, um den eigenen Innovations- und Digitalisierungsprozess zu beschleunigen. Der Markt ist durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet. So wurden 25 der 61 untersuchten Labs erst im Jahr 2015 gegründet und initiiert. Nach Prognosen des Beratungsunternehmens Crisp Research AG wird sich der Anteil derjenigen mittelständischen und Großunternehmen, die eigene Digital Labs betreiben, von knapp 60 auf bis etwa 300 Unternehmen verfünffachen. Die jährlichen Ausgaben für den Betrieb der Digital Labs werden dann bei rund 1,5 Milliarden Euro liegen. Doch was leisten diese Corporate Digital Labs für die Unternehmen? Was ist deren strategische Zielsetzung?

Und was sind die Erfolgsfaktoren, um die richtigen Talente zu attrahieren und gleichzeitig die neuen Ideen und Impulse zielgerichtet in eigene Unternehmensorganisation und -prozesse zurückzuführen? Wie können Corporate Digital Labs den Charme jener hippen Inkubatoren versprühen, die von den großen Internet und Venture Capital-Unternehmen in den letzten zehn Jahren aufgebaut wurden? Sind Corporate Digital Labs der Katalysator der Digitalen Transformation oder nur Statussymbol für Geschäftsführer_innen (Chief Executive Officer, CEO) und ein Millionengrab ohne nachhaltigen Innovationsbeitrag?“ von Thorsten Ramus und Dr. Carlo Velten   

Thorsten Ramus und Dr. Carlo Velten  greifen, m. A. n., zu kurz und lediglich aus Sicht der konzerngebundenen IT-Wirtschaft heraus. Unternehmen und transglobale Konzerne konsolidieren mit Kapital und Fachwissen  ihre  Zukunft.  Jedoch  liegt  der  Schwerpunkt  der strategischen  Unternehmensplanung  nicht  primär  in der Schaffung neuer Möglichkeiten für die Gesellschaft im Allgemeinen. Ihr durchaus legitimes Ziel ist, die Sicherung von Marktanteilen über die eigene Wettbewerbsfähigkeit und schlussendlich der Profit für das eigene Unternehmen! In der unternehmerischen Kontenbilanzierung spielt es keinerlei Rolle wo Arbeitsplätze entstehen, sondern lediglich ihre Kosten/Nutzen Bilanz.

Zivilgesellschaft und Politik können sich nicht leisten, mit der komplexen Dynamik einer Wirtschaft und all ihren Folgen, weiterhin nur die Wirtschaft zu belasten. Die Wirtschaft schafft keine Rahmenbedingungen, sie nutzt sie lediglich. Unternehmen und Kapital können ihren Standort wechseln, Gesellschaften haben diese Möglichkeit in der Regel nicht!

Eine langfristige regionale Entwicklung kann aber gelingen und mit öffentlichen Investitionen Raum geschaffen werden, wenn nicht nur der Sanierungsstau, der in die Jahre gekommenen Infrastruktur behoben wird, sondern die vorhandenen Strukturen (Handel, Handwerk, Dienstleistung) gestärkt und neue und moderne Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Der These „Politik schafft keine Arbeitsplätze“ darf mutig widersprochen werden!

Die WIN Emscher-Lippe Agentur, mit Sitz in Herten, befasst sich seit Mai 2016 mit dem Projekt „Die Ideen liegen auf dem Campus“, „[…] ein Projekt zur Sensibilisierung, Motivierung und Unterstützung junger Gründungsinteressierter. Hierbei werden die Studenten der regionalen Hochschulen bei innovativen und wissensbasierten Gründungen, u.a. durch Einführungsworkshops und Gründungsveranstaltungen, begleitet und gefördert. Ziel ist es,  eine Bekanntheit und Nachhaltigkeit für das Thema Gründung zu schaffen, die ebenfalls die Zukunftsfähigkeit der Emscher-Lippe-Region sichert und die Innovationsfähigkeit verbessert.“ (Selbstdarstellung)

Das Projekt sieht vor, Hochschulabsolventen administrativ zu unterstützen Unternehmen zu gründen. Zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, der einiger Ergänzungen bedarf, ohne die kaum eine Start-Up Gründung die ersten zwei Gründungsjahre überleben würde! Das Projekt „Die Ideen liegen auf dem Campus“ informiert, vernetzt und berät diejenigen (noch) Studenten und Studentinnen, die den Willen bereits haben selbstständig zu werden. Diese Anstrengung aber greift, m. A. n., zu kurz.

 

Ein Unternehmen(er) entsteht

Die Stabilität der Realwirtschaft orientiert sich an vorhandene Bedarfe der Gesellschaft oder weckt das Interesse für neue Bedarfe. Am Ende dieses Denkprozesses formuliert sich eine Idee und aus ihr eine Innovationen. Wie werden Innovationen finanziert? Wie werden Unternehmen finanziert? Die klassische Unternehmenskreditierung, durch verzinste Bankdarlehn, belegt seit geraumer Zeit das unterste Mittelfeld der Bilanz einer Bank. Kredite werden bestenfalls an gestandene Firmen vergeben, die betriebswirtschaftliche und ökonomische Sicherheiten bieten können. Die finanzielle Unterstützung von Neugründungen ist dagegen weitestgehend aus dem Fokus der Banken und in den Fokus privater und institutioneller Investoren geraten, die zum Teil vom selben Bankensystem mit Kapital versorgt werden, das den Neugründern eigentlich zustünde!

Ziel des Konzeptes „Von der Hochschule zum Unternehmer“ ist, die sozioökonomische und wirtschaftliche Stärkung und Weiterentwicklung der Region Emscher-Lippe und im Besonderen des Ruhrgebietes. Das Konzept spricht primär Absolventen von Hochschulen mit technischem und artverwandtem Schwerpunkt an: Maschinenbau, Elektrotechnik, Verfahrenstechnik, Informatik, Mathematik, Physik, Chemie, Geowissenschaften und Materialwissenschaften.

 

Fördern und Fordern

Die Emscher-Lippe Region, und explizit das Ruhrgebiet, verstehen sich zurecht als wirtschaftlicher Motor der Bundesrepublik Deutschland, der z. Zt. leider unrund läuft. Überschuldete Kommunen, marode Verkehrsstrukturen, soziale Konfliktherde, schrumpfende Wirtschaftsleistung, abwandernde Arbeitsplätze und bestens ausgebildete Intelligenz sowie wachsende Armut, die mit der Anzahl der neugegründeten „Tafeln“ korreliert.

Weder die Effekte und noch viel weniger die Ursachen dieses Status-Quo, werden verschwinden, wenn dem Faktor „Arbeit“ nicht die ihm zustehende Beachtung geschenkt wird. Es kann auch nicht erwartet werden, dass allein den Konzernen und dem strukturell abhängigen Mittelstand die Lösung dieser Aufgabe überlassen wird. Zweifellos kann die Einführung der 30-35h Woche bei vollem Lohnausgleich eine kurzweilige Linderung verschaffen, nicht jedoch, wenn sich die Befürchtungen um die Digitalrevolution bewahrheiten sollten!

Anderseits sind wir verpflichtet, die Zukunft der nachfolgenden Generationen zu überdenken. Der Ansatz „Von der Hochschule zum Unternehmer“ versteht sich als soziopolitische Strategie, die die gesellschaftliche Dynamik und die individuelle Kreativität kanalisiert. Ein neuer Siemens, ein neuer Bosch, Krupp oder Planck macht sich nicht von  allein und aus sich heraus.

Das mögliche Potential an künftigen UnternehmernInnen findet sich im Besonderen in den Hochschulen. Nur, meist wissen es StudentenInnen selbst nicht, welches Potential in ihnen steckt. Das Ziel ist, diesen „Schatz“ zu heben, um aus ihm die neuen Siemens, die neuen Boschs, Krupps und Plancks zu formen.

Bisweilen exemplarisch für das Ruhrgebiet, sind die tausende Hektar brachliegender Industrieflächen des Montanzeitalters, die auf ihre Entwicklung warten. Es ist müßig, sich mit den einzelnen Stadtentwicklungsplanungen  der  Kommunen  und ihren Visionen zu befassen, die naiv davon ausgehen, neu  ausgewiesene Gewerbegebiete würden quasi automatisch Unternehmen locken, die Millionen Arbeitsplätze schaffen!

Einzelne Kommunen machen auch nicht davor Halt, mit Gewerbesteuernachlässen und anderen „Geschenken“ rücksichtslos allein für sich zu werben. Der einzige Effekt ist die Unternehmensabwanderung und die Mitnahme dieser „Geschenke“, aber nicht die Schaffung neuer Arbeitsplätze! Der Unmut der benachteiligten Nachbarkommunen ist insofern verständlich, zumal auch diese negativen Effekte obsolet wären, wenn die Gewerbesteuer – eine gerechte Verteilung der Gewerbesteuereinnahmen vorausgesetzt – auf Landes- und nicht auf Kommunalebene erhoben würde. Dann spielte es tatsächlich keine Rolle, wo sich ein Unternehmen niederlässt.

 

Das Konzept

Executive Summary:

Der erste Schritt führt zu den Hochschulen und explizit zu den Professoren und Dozenten aller in der Emscher-Lippe Region befindlichen Hochschulen und zu einer Anfangsempfehlung (s. Graphik: Discovery). Alle potentiellen JungunternehmerInnen durchlaufen nach ihrem Studienende ein 12-Monatiges Coaching, worin sie mit den Erfordernissen eines Unternehmens vertraut gemacht werden (s. Graphik: Business Lab). Schlussendlich wird das Unternehmen gegründet (s. Graphik: Company).

Kern des Konzeptes ist das 3-gliedrige Verfahren zur Formung neuer Unternehmen aus dem Umfeld der Hochschulen und die Standortbindung der JungunternehmerInnen.

 

Erstes Glied: Die Stiftung

  1. Eine gemeinnützige Stiftung, die neu zu gründen ist und von Personen außerhalb von Politik, Wirtschaft und Finanzwesen geleitet wird, verwaltet und investiert, das ihr zur Verfügung stehende Kapital, in die Kreativität junger Menschen, die aus dem Studium heraus neue, zukunftsorientierte und moderne Unternehmen gründen. Die einzige Bedingung für die Finanzierung (Sponsoring, keine Kreditierung), ist die regionale Bindung des Unternehmens für 10 Jahre. Die Stiftung wird für dieselbe Dauer ausschüttungsfreie Teilhaberin des Unternehmens.
  2. Das Stiftungskapital definiert sich nur über Spenden der Bevölkerung und der Wirtschaft. Vorausgesetzt allein jeder  Bürger und jede Bürgerin spendeten Fünf Euro pro Jahr, ergebe sich eine kumulierte Summe von > 35Mio. €/Jahr, die direkt in Neugründungen und Businesserweiterungen investiert werden kann.
  3. Der Stiftungsvorstand besteht aus 3 zivilgesellschaftlichen Persönlichkeiten und 2 aktiven oder emeritierten HochschullehrernInnen. Allein dieses Gremium entscheidet darüber, ob und welche JungunternehmerInnen unterstützt werden. Der Stiftungsvorstand wird von Fachleuten beraten.
  4. Die Aufsicht über die Stiftung obliegt allein der Finanzbehörde des Landes NRW.
  5. Dem beratenden Beirat der Stiftung gehören je ein Vertreter des RVR, des Emscher-Lippe Verbandes, des Wirtschaftsverbandes sowie der Hochschulen an.

 

Zweites Glied: Die Standortentwicklung

  1. Die Standortentwicklung (Schaffung der notwendigen Infrastruktur) obliegt dem RVR und den Eigentümern. Den Kommunen, in denen sich die Flächen befinden, stehen Planungsrechte zu.
  2. Jeder Standort ist Teil eines Clusters mit Schwerpunkten. Die Zuweisung von Schwerpunkten ergibt sich aus den bereits entwickelten Qualitäten vor Ort.


Drittes Glied: Das Mentoring

  1. Fähige Hochschulabsolventen werden von, vor allem pensionierten, erfahrenen Managern  12 Monate „trainiert“. Sie durchlaufen eine spezielle Ausbildung (s. Business-Lab).
  2. Die Mentoren (Coaches) begleiten 24 Monate lang aktiv das junge Unternehmen, bleiben aber weiterhin wichtige Partner.

Es liegt im ureigenen Interesse einer Gesellschaft bewährtes zu erhalten und neues zu wagen. Diese Aufgabe kann sie und darf sie nicht delegieren. Einen potentiellen Unternehmer zu finanzieren, der Beschäftigung schaffen könnte, ist ein notwendiger Baustein eines übergeordneten Zieles: Die Wahrung des sozialen Friedens. Ein weiterer ist die Heranbildung eines/-er Unternehmers/-in selbst, denn der Wunsch allein reicht in den meisten Fällen nicht aus.

„Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts.“
(Albert Einstein)

 

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