02 Apr 2015

Monetäre Modernisierung

von apl. Prof. Dr. Eberhard Umbach

 

Aus dem Aufsatz „Soziale ökologische Marktwirtschaft – Alternative zum Finanzkapitalismus“

Umbau des Geld und Finanzsystems

Kernaussagen

Das Finanzsystem muss wieder in den Dienst der Realwirtschaft gestellt werden.

Die gegenwärtige Vormachtstellung der Finanzmärkte gegenüber Regierungen, Wirtschaft und Gesellschaft muss beendet werden durch eine neue Struktur des Geldsystems. Nicht mehr die Banken schöpfen ungedecktes Kreditgeld, um ihren eigenen Gewinn zu maximieren. Sondern die Monetative, eine weiterentwickelte Zentralbank als öffentliche Einrichtung, schöpft neues Geld. Dieses wird vorwiegend über Gutschriften für die öffentlichen Hände in Umlauf gebracht. Damit wird auch ein Beitrag zur Staatsfinanzierung geleistet. Um dieses Konzept in der Schweiz zu realisieren, bereiten Schweizer Bürger eine Volksinitiative mit dem Ziel einer Verfassungsänderung vor. Weiterhin muss die Spekulation, die Vermehrung vorhandenen Geldes innerhalb des Finanzsystems, erschwert und möglichst unterbunden werden.

Erläuterungen

Problemanalyse:

Das Finanzsystem als Maschine zur Gewinnmaximierung für eine kleine Minderheit 0.1

Nachdem Verständnis der meisten Bürger von Industriegesellschaften hat das Banken- und Finanzsystem die Aufgabe, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, also die Realwirtschaft, mit ihren Arbeitsplätzen, durch Kreditvergabe zu unterstützen, oft überhaupt erst zu ermöglichen. Die Bürger nehmen an, dass die Banken diese Aufgabe erfüllen, indem sie die Ersparnisse von Bürgern und Firmen einsammeln, mit einem Haben-Zinssatz verzinsen und an Firmen und Konsumenten zu einem höheren Soll-Zins wieder ausleihen. Die Differenz zwischen Soll-Zinsen und Haben-Zinsen sei eine wichtige Grundlage für die Kostendeckung der Banken.

Diese Aufgabe der Finanzierung der Realwirtschaft haben die meisten mächtigen Finanzmanager und ihre Institute in den letzten zwei Jahrzehnten in den Hintergrund geschoben. Hauptziel der großen Geschäftsbanken in London, in New York, aber auch der Deutschen Bank in Frankfurt am Main und der Landesbanken in vielen Länderhauptstädten, ist die Maximierung des eigenen Gewinns. Günstigste Methoden dafür sind Investmentbanking und Spekulation, erst an dritter Stelle die Vergabe von Krediten an die Realwirtschaft.

Experten nennen die Zahl von 3 Billionen Dollar, die täglich an den Börsen der Welt umgesetzt werden, fast ausschließlich zu spekulativen Zwecken. Ein Überfluss an Geld ist vorhanden. Aber es befindet sich in den Händen einer kleinen Minderheit von Personen und Institutionen. Diese wollen es vor allem gewinnbringend anlegen.

Wie kommen die Banken und bankenähnlichen Firmen (z.B. Hedgefonds) an das viele Geld?

Es stammt nur zum kleinen Teil aus den Einlagen der Bankkunden.

Die wichtigste Quelle für die Zunahme von anlagesuchendem Kapital ist die eigene Giral- oder Kreditgeldschöpfung der Banken. Die Banken haben im gegenwärtigen Finanzsystem einen sehr großen Spielraum für eigene Geldschöpfung – was die allermeisten Normalbürger nicht wissen und auch kaum wissen können. Denn in den Medien wird fast immer der Eindruck erweckt, dass die Banken mit den Einlagen der Kunden arbeiten, allenfalls mit Geld, das sie von der Zentralbank leihen. Aber vom umlaufenden Geld ist 80 % Giralgeld und damit das Produkt der Geldschöpfung der Banken, nicht der Zentralbank. Diese schöpfen es nach ihren Gewinnmaximierungsstrategien.

In einer Broschüre für finanzwirtschaftliche Laien beschreibt die Deutsche Bundesbank1 die Möglichkeit der Geschäftsbanken, Giralgeld zu schöpfen. Technisch ist diese Geldschöpfung ein Eintrag eines Kredits auf dem Konto eines Kunden, im Haben eines Guthabens, über das er verfügen kann, im Soll eine Forderung der Bank auf Rückzahlung. Dafür braucht die Bank nicht den entsprechenden Betrag an Zentralbankgeld als Gegenwert. Sie schöpft das Kreditgeld aus dem Nichts. Nur Mindestreservesatz und Bargeldabhebungsquote setzen Grenzen für die Möglichkeit zur Geldschöpfung der Banken.

Wie eng sind diese Grenzen gezogen

Der Kern der Darstellung der Bundesbank ist der Geldschöpfungsmultiplikator und seine Berechnung in einer Formel, die die Zusammenhänge deutlich macht:

 

M=1r + c (1 − r)                                

M = Geldschöpfungsmultiplikator

r = Mindestreservesatz

c = Bargeldabhebungsquote

 

Danach kann eine Geschäftsbank auf Basis eines vorhandenen Betrages an Zentralbankgeld ein Vielfaches an Krediten vergeben. Sie muss nur die Mindestreservevorschriften der Zentralbank einhalten und beachten, wie viel Bargeld die Kunden aus den eingeräumten Krediten abheben werden. Ansonsten zählt die Bonität der Kreditnehmer, die aber oft sehr großzügig eingeschätzt wird – mit entsprechendem Ausfallrisiko. In dem Beispiel im Text der Bundesbank wird mit dem gültigen Mindestreservesatz von 2 % und einer Bargeldabhebungsquote von 20 % gerechnet. Das ergibt einen Multiplikator von 4,6.

Auch ein Multiplikator von 4,6 räumt den Banken schon ein beträchtliches Machtpotential ein. Mit 1000 € Zentralbankgeld könnte sie 4600 € Kredit schöpfen. Der Kredit wird verzinst und verschafft der Bank Erträge. Der Multiplikator kann sich aber beträchtlich erhöhen, da bei vielen Bankgeschäften, insbesondere bei solchen ohne Bezug zur Realwirtschaft, die Bargeldabhebungsquote wesentlich niedriger liegt als 20 %. Eine zusätzliche Erhöhung des Multiplikators wird auch bewirkt durch den Verkauf von verbrieften Krediten.

Deshalb ist anzunehmen, dass der Multiplikator im System der Geschäftsbanken bei weit über 10 liegt. In der Fachliteratur wird auch von einem Faktor von 50 und größer gesprochen. Damit steht den Banken ein großes Kreditgewährungspotential zur Verfügung, das ihnen ein kaum zu unterschätzendes Machtpotential einräumt.

Davon ist in den populären Darstellungen der Bundesbank nichts zu lesen. Vielmehr wird schon in der Ausgabe der Broschüre von 2010 der Multiplikator nicht mehr erwähnt und die Geldschöpfung der Geschäftsbanken beschönigend als vorwiegend an Sicherheit orientiert dargestellt.2 Spätestens die Finanzkrise von 2008 zeigte, was davon zu halten ist.

Geldschöpfung durch die Banken wäre allenfalls akzeptabel, wenn die Banken die Belange der Realwirtschaft ins Zentrum ihrer Aktivitäten rücken würden. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Kreditvergabe an private Unternehmen steht für die Gewinnerzielung der Banken nicht mehr im Vordergrund. Unternehmer und Beobachter stellen eine tendenzielle Anhebung der Kreditkonditionen fest, bis hin zu Kreditklemmen.

Die Kreditgeldschöpfung dient immer mehr der Teilnahme am weltweiten Finanzkasino mit Wetten auf steigende oder fallende Kurse von Wertpapieren, Immobilien und Rohstoffen sowie an der für die Banken besonders lukrativen Abwicklung und Finanzierung von Unternehmensübernahmen und Fusionen, dem Investmentbanking, wie unten noch weiter ausgeführt wird. Das dient der Gewinnmaximierung der Banken und damit den Interessen ihrer Anteilseigner und Manager. Bei höheren Gewinnen steigen die Aktienkurse, ebenso die Bonuszahlungen für die Manager.

Die Regierungen haben sich daran gewöhnt, bei Banken Kredit aufzunehmen. Die Banken schöpfen Geld, wie eben beschrieben, fast aus dem Nichts und leihen es, zu meistens erheblichen Zinssätzen, den Regierungen. Die Zinsen belasten die öffentlichen Haushalte und schmälern den Finanzspielraum des Staates für bürgernahe Dienstleistungen.

Der Umfang spekulativer Aktivitäten im Bankenbereich weitete sich im letzten Jahrzehnt stark aus. Seit kurzem werden solche Transaktionen vollautomatisch über Rechner durchgeführt, im Millisekunden-Takt, um kleinste Kursveränderungen auszunutzen. Mit dieser Technik werden die Umsätze der Branche drastisch erhöht, ebenso die Risiken von unvorhersehbaren Kurssprüngen mit evt. dramatischen Folgen für die Wirtschaft.

Die Vergrößerung der Geldmenge in den letzten zwei Jahrzehnten durch Geldschöpfung der Banken und der Politik des leichten Geldes der amerikanischen Zentralbank, der Japanischen Zentralbank und in etwas geringerem Umfang auch der EZB wird in der wirtschaftspolitischen Diskussion als mögliche Ursache von Inflation betrachtet. Die meisten Bürger verbinden mit diesem Begriff Anstiege der Verbraucherpreise. Das würde die Bezieher von Festeinkommen und Kontensparer schädigen. Aber eine starke Inflation bei den Verbraucherpreisen ist bisher ausgeblieben, sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone.

Was es aber gibt, ist der Preisanstieg bei nicht-monetären Vermögenswerten, die „asset price inflation“. Aktien, Grundstücke, Immobilien und Rohstoffe, auch Gold, werden teurer, bei Aktien allerdings unterbrochen durch Baissephasen. Das beinhaltet z.B. Preissteigerungen bei Lebensmitteln und bei landwirtschaftlichen Flächen. Mittlere Landwirte sind beim Flächenerwerb den Spekulanten unterlegen.

Die Warnungen vor Inflation sind also durchaus berechtigt, die Einzelheiten, wo sie zuschlagen wird, sind aber schwer vorhersehbar.

Unterschätzt oder schlicht übersehen oder absichtlich ignoriert wird bei der Beurteilung der Folgen von Geldvermehrung durch Geschäftsbanken und Zentralbanken das Problem der Verteilungswirkung bei Einkommen und Vermögen. Das von den Banken fast aus dem Nichts geschöpfte Geld wird von ihnen gewinnbringend angelegt. Es vergrößert Einkommen und Vermögen der Eigner der Institute, also der Aktionäre. Dasselbe gilt für Darlehen der Zentralbanken. Allein der Betrag von 1 Billion Euro, den die EZB wie erwähnt den Banken der Euro-Zone für 3 Jahre geliehen hat, bringt den Instituten bei einer Durchschnittsrendite von niedrig gerechnet 4 % zusätzliche jährliche Gewinne von 40 Milliarden Euro. Dagegen stagnieren oder sinken die Einkommen der Arbeitnehmer mit durchschnittlichem oder unterdurchschnittlichem Einkommen. Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird durch das permanente Fördern des Finanzsektors laufend größer. Die heimische Nachfrage stagniert, die politische Instabilität wächst, die Gefahr von Krisen ebenso.

 

Erfahrungen aus der Geschichte

Die Industrieländer haben inzwischen zweimal die Erfahrung weltweiter Wirtschaftskrisen gemacht, 1929 ff. und 2008 ff. (Die zahllosen länder- und regionspezifischen Krisen werden bei dieser Skizze nicht behandelt.) In beiden Krisen ist die geschilderte Fehlkonstruktion des Finanzsystems ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste auslösende Faktor gewesen. Bevor wir uns mit dem vorgeschlagenen Zukunftskonzept für das Finanzsystem befassen, ist es sinnvoll, die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit einzubeziehen. Daraus sehen wir insbesondere, dass die heutigen Vorschläge überhaupt nicht neu sind, sondern unter ähnlichen Umständen von Wissenschaftlern und Praktikern in Wirtschaft und Politik schon lange diskutiert wurden. In den entscheidenden Augenblicken setzte sich durch Machtpolitik die Bankenlobby als Vertreter der Profiteure des Status-quo durch, unterstützt durch den Konservatismus der meisten Unternehmer und Manager und durch die Fremdheit der Strukturen und Regeln des Finanzsystems für das Verständnis der normalen Bürger.

Der Vorschlag eines 100 % Geldes im Chicago Plan von 1933

Die weltweite Wirtschaftskrise von 1929 ff. offenbarte schon vor 80 Jahren die strukturelle Instabilität eines Kreditgeldsystems, wie wir es oben beschrieben haben. Auch eher liberal eingestellte amerikanische Ökonomen, vorwiegend von der Universität von Chicago, erkannten die Bedeutung dieses Sachverhalts und versuchten, die Regierung Roosevelt von den Vorteilen einer strikten Kontrolle der Geldschöpfung durch den Staat zu überzeugen3 1933 legten die Wirtschaftswissenschaftler Knight und Simon in zwei Memoranden für die Regierung ihre Vorstellungen dar. Kern der Vorschläge war die 100 %-Deckung von Bankkrediten durch Zentralbankgeld. Damit hätte die US-Bundesregierung die vollständige Kontrolle über die Versorgung der Wirtschaft mit Geld bekommen. Die Banken hätten die lukrative Machtposition der Kreditgeldschöpfung verloren. Es gibt zwei Memoranden aus der Bundesregierung, die sich mit den Vorschlägen auseinandersetzten. 1935 erschien das Buch des bekannten amerikanischen Ökonomen Irving Fisher über „100-%-Geld“, das 2007 auch ins Deutsche übersetzt wurde4.

Im Banking Act, auch bekannt unter dem Namen Glass-Steagall-Act, von 1933, novelliert 1935, wurde das Konzept des 100-%-Geldes nicht einbezogen. Vielmehr entstand ein Kompromiss: das Kerngeschäft der Banken (Depositenverwaltung und Kreditgewährung) wurde scharf getrennt vom Investmentbanking. Und die Banken wurden einer strikten Kontrolle unterworfen. Das genügte den Wissenschaftlern nicht. In einem Memorandum versuchten sie 1939 noch einmal, weitergehende Reformen zu initiieren.5

Schon die Regelungen des Banking Act trugen dazu bei, dass von 1935 bis Anfang der 1970er Jahre vergleichsweise stabile Verhältnisse auf den Finanzmärkten herrschten. Die Jahre 1971, 1979 und 1980 markierten Wendepunkte der Wirtschaftspolitik, mit der Aufhebung der Goldeinlösepflicht für den Dollar durch US-Präsident Nixon, den Wahlsiegen von Thatcher in GB und Reagan in USA. Mit der nun wieder dominanten Orientierung hin zu Deregulierung und Gewinnmaximierung auch auf Kosten des Gemeinwohls erneuerten und verschärften sich die Probleme von Spekulation, Wirtschaftskrisen und sozio-ökonomischer Ungleichheit. Seitdem gibt es Einkommens- und Vermögenszuwächse bei der kleinen Schicht der sehr Wohlhabenden, bei gleichzeitiger Zunahme von Armut in der Gesamtbevölkerung.

 

Die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise 2008 ff.

Die Gewinnorientierung der großen Banken und ihre Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Gemeinwohl war auch das treibende Element in der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ff.. Diese Einschätzung ist nicht übertrieben, wenn es auch viele weitere Akteure gab, deren Fehleinschätzungen und deren Machtpolitik das ganze Ausmaß der Krise erst ermöglichten.

Im Hauskreditgeschäft in den USA waren ab ca. 2002 unverantwortliche Risiken eingegangen worden. Über Wertpapiere (Derivate, Asset Backed Securities – ABS), mit Bestnoten der Ratingagenturen, wurden unsichere Kredite weltweit an Anleger, insbesondere Banken, verkauft. Als 2007 in USA Kredite notleidend wurden und Institute in Schwierigkeiten gerieten, blieb diese Krise nicht auf die USA beschränkt. Wegen der weltweiten Verbreitung der ABS und der engen Verflechtungen der Banken gerieten fast alle Institute in den USA, GB und Deutschland in Schwierigkeiten. Im Spätsommer 2008, nach dem Zusammenbruch der großen amerikanischen Bank Lehman Brothers, standen fast alle Institute am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Die meisten wurden von den Regierungen durch den Einsatz von Steuergeldern in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro oder Dollar gerettet. Sie konnten ihre risikoreichen, aber gewinnbringenden Geschäftsmodelle fortsetzen, ohne einschneidende Veränderungen. Denn die entscheidenden Politiker, die fast ausnahmslos der Ideologie des Neoliberalismus anhingen, konnten sich eine Wirtschaft ohne unregulierte Großbanken nicht vorstellen. Diese Banken waren zu groß, um sie einfach Bankrott gehen zu lassen (too big to fail). So konnte die Bankenlobby die Staaten als Geiseln benutzen. Gegen alle Regeln der Marktwirtschaft bürdeten die Regierungen die Haftung der Banken für ihre Fehlspekulationen den Steuerzahlern auf.

Dasselbe Modell wiederholte sich mit den Schuldenkrisen in Griechenland, Portugal und Irland ab 2010 und in Spanien 2012. Die Regierungen dort retteten ihre Banken, die ähnlich risikoreiche Geschäfte getätigt hatten wie in den USA, gerieten dadurch selbst in Zahlungsschwierigkeiten und mussten durch Rettungsschirme aller Euro-Länder und nahezu vertragswidrige Finanzierungsmodelle der EZB (Europäische Zentralbank) ihrerseits gerettet werden – letztlich auf Kosten der Steuerzahler aller Euro-Länder, auch der nicht betroffenen wie Deutschland.

Schlussfolgerung: Mit der weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise 2008 ff. hat der Marktradikalismus genauso abgewirtschaftet wie 1989 die Zentralverwaltungswirtschaft im Ostblock. Der Unterschied ist: Im Ostblock wurden Gesellschaft und Regierungen neuen Einflüssen geöffnet, die Vertreter der alten Regime verloren in vielen Ländern ihre Machtpositionen. In der gegenwärtigen Krise des Marktradikalismus sind die Machthaber weitgehend dieselben geblieben. Die Lobbyisten sind nach wie vor in Parlamenten und Ministerien aktiv und haben bisher grundlegende Reformen des Finanzsektors verhindert.

Finanzsystem in einer SÖM

Die Banken sind auf ihr Kerngeschäft zurückgeführt, auf das Geschäft mit den Einlagen der Sparer und den Krediten an vorwiegend Produzenten und in geringerem Umfang an Konsumenten. Spekulation wird unattraktiv gestaltet und nach und nach ausgetrocknet. Sie entspricht nicht dem Wertsystem einer nachhaltig lebenden und wirtschaftenden Gesellschaft. Wenn Bürger unbedingt spekulieren wollen, können sie diesen Zeitvertreib, diese Sucht, in speziell geschaffenen Einrichtungen wie Spielbanken oder Wettbüros oder neu geschaffenen periferen Institutionen ausleben. Mit dem Geld, Finanz- und Währungssystem als einer zentralen, gesellschaftlich lebenswichtigen Institution darf nicht gespielt werden.6

Neben der Abschaffung von Spekulation ist in einer SÖM die Geldschöpfung nicht mehr Sache der Geschäftsbanken, sondern das alleinige Recht einer öffentlichen Institution. Die Monetative, eine weiterentwickelte Zentralbank, ist in einer SÖM allein für die Schöpfung von Geld verantwortlich. Sie ist unabhängig von Regierung und Parlament. Sie hat eine Stellung ähnlich wie das Gerichtswesen, die jetzige Dritte Gewalt im Staat. Die Monetative kann entsprechend als Vierte Gewalt betrachtet werden.

Die Monetative versorgt Gesellschaft und Wirtschaft mit Vollgeld7. Dieses ist Zentralbankgeld. Das Kreditgeld der Banken wird allmählich, mit Tilgung der zugrunde liegenden Kredite, aus dem System ausgeschleust.

„… die Aufgabe der Banken besteht nicht darin, die Wirtschaft mit Geld zu versorgen (das ist Aufgabe der Monetative), sondern wirtschaftliche Aktivitäten auf der Grundlage zirkulierenden Geldes zu finanzieren: durch Service-Leistungen des Geldwechsels und Zahlungsverkehrs, durch Kredite (Darlehen), durch Plazierung von Wertpapieren oder Vermittlung von Kapitalbeteiligungen und Firmenfusionen. Das Geld  für solche Aktivitäten zu emittieren, soll jedoch nicht zum Geschäft der Banken gehören.“8

Die Menge an neu geschöpftem Geld wird bestimmt nach den Regeln, die auch jetzt schon die Zentralbanken in ihrer Geldpolitik anwenden. Aber die Monetative ist nicht mehr wie bisher die Zentralbanken vor allem auf die indirekten Mittel der Offenmarktpolitik und der  Zinspolitik angewiesen, sondern bringt alles Geld, das benötigt wird, selbst in Umlauf. Dadurch hat die Monetative die direkte Kontrolle über das gesamte zirkulierende Geld. Überversorgungen, die zu Blasen führen, oder Unterversorgungen, die Rezessionen verursachen, kommen gar nicht erst auf. Geld für Spekulation kann nicht mehr per eigene Kreditgeldschöpfung geschaffen werden.

Das zwar gewinnträchtige, aber risikoreiche Investmentbanking wird erschwert und zurückgefahren, denn Gewinnmaximierung ist nicht mehr Teil des gesellschaftlichen Wertsystems.

Die Monetative bringt neues Geld, das von der Wirtschaft benötigt wird, vorwiegend durch Gutschrift auf einem Konto des Finanzministeriums in Umlauf. (Andere Möglichkeiten des Inverkehrbringens von neu geschöpftem Geld wären Kredite der Monetative an die Geschäftsbanken, aber auch eine Bürgerdividende, die allen Bürgern ausgezahlt und durch deren Konsum und Sparen in die Wirtschaft fließen würde.) Somit profitieren nicht mehr vorwiegend die Banken und indirekt die Wohlhabenden von Geldschöpfung und Wirtschaftswachstum, sondern direkt der Staat und die Bürger, indirekt die Nutznießer von staatlichen Leistungen. Das bedeutet einen Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben und zur Verringerung der Abhängigkeit des Staates von Steuererhebung.

Ein einmaliger erheblicher zusätzlicher Betrag zur Staatsfinanzierung ergibt sich aus der sog. Übergangs- oder Substitutions-Seignorage9. Nach der Umstellung auf Vollgeld wird das das Kreditgeld der Banken mit Tilgung der zugrunde liegenden Kredite innerhalb weniger Jahre aus dem System ausgeschleust. Das Kreditgeld muss, um Geldknappheit zu vermeiden, durch Vollgeld ersetzt werden. Dieses wird auch über staatliche Konten in Umlauf gesetzt und sollte zur Reduzierung der staatlichen Schulden verwendet werden. Damit könnte in vielen europäischen Ländern mit der Vollgeldreform auch eine Reduktion oder Gesamtlösung des Staatsschuldenproblems erreicht werden.10

Die Idee der Geldschöpfung durch eine öffentliche Institution ist schon 80 Jahre alt. In Zeiten der Dominanz des Neoliberalismus war es allerdings für Ökonomen karriereverhindernd, sie zu propagieren. Umso mehr muss es als Verdienst betrachtet werden, dass die seit Jahrzehnten an Nachhaltigkeit orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler und Joseph Huber11 und Hans-Christoph Binswanger12 die Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. aufgearbeitet und im Lichte der seither gewonnen Erfahrungen mit dem Geld- und Finanzwesen weiterentwickelt haben. Beide sind beteiligt an den Anstrengungen Schweizer Bürger, das Vollgeld-Konzept einer Realisierung näher zu bringen. Dem gilt der folgende Abschnitt.

 

Die Schweizer Initiative

In der Schweiz könnte es aus mindestens zwei Gründen wesentlich einfacher sein, eine Basisbewegung für eine Geldreform ins Leben zu rufen und damit öffentliches Gehör zu finden, als in Deutschland:

  • Die Schweiz ist ein Land, in dem die direkte  Demokratie sehr viel stärker praktiziert wird als in Deutschland. Volksbegehren und Volksabstimmungen zu den verschiedensten Anliegen sind an der Tagesordnung. Die Vorgehensweisen sind interessierten Bürgern bekannt. (In Deutschland sind auf Bundesebene Bürgerbegehren und Volksabstimmungen bisher nicht vorgesehen.)
  • Die Schweiz hat eine eigene Währung, die von der Schweizer Nationalbank kontrolliert wird. Eine Reform des Geldsystems kann in der Schweiz ohne vertragliche Abhängigkeit von Partnerländern beschlossen werden. (Demgegenüber ist im Kontext der Euro-Zone eine Abstimmung zwischen 17, ab 2014 mit 18 Staaten nötig, bevor eine Reform effektiv werden könnte.)

Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass in der Schweiz 2011 der Verein Monetäre Modernisierung (www.monetative.ch) gegründet wurde, der die Organisation eines Volksbegehrens zur Änderung der Bundesverfassung für eine Geldreform anpackt. Dem Wissenschaftlichen Beirat gehören die genannten Wissenschaftler Huber und Binswanger an. Im Januar 2012 erschien die Broschüre „Die Vollgeldreform“, die den Bürgern das Konzept erläutert und Alternativen der Realisierung aufzeigt13. In einer Bachelor-Arbeit14 wird untersucht, mit welchen politischen Kräften in der Schweiz dabei gerechnet werden muss und welche Strategien infrage kommen.

 

Zur Vertiefung:

Eine wichtige Quelle für Geldvermögen der Banken sind Kredite und Wertpapierkäufe der Zentralbanken: Die US-Zentralbank (Federal Reserve System) hat seit 2001 zur Ankurbelung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt jahrelang den Leitzins auf 1 % und weniger festgelegt und großzügig Anleihen aufgekauft, also den Banken und dem Staat flüssige Mittel verschafft.

Die EZB, die Europäische Zentralbank, ist hier tendenziell zurückhaltender, wegen des Wortlautes der europäischen Verträge. Aber auch sie hat seit 2010 in großem Umfang Staatsanleihen gekauft und den Banken der Euro-Zone allein zwischen Dezember 2011 und März 2012 eine Billion Euro als Darlehen zur Verfügung gestellt, für 3 Jahre zu 1%. (Welcher Normalbürger bekommt so günstig Kredit?)

 

Verweise:

Den folgenden Darstellungen liegen insbesondere folgende Titel zugrunde: Deutsche Bundesbank, 2009, 2012; Huber, 2010, 2013; Peukert, 2012; Strange, 1986; Sinn, 2011

  1. Deutsche Bundesbank, 2009, S. 88 ff.. Diese umfassende und sehr informative Broschüre wird in kurzen Abständen aktualisiert. Aktuelle Fassung: 2012. Die Darstellung der Geldschöpfung der Banken von 2009 war am klarsten; deshalb wird auf sie hier Bezug genommen.
  2. Deutsche Bundesbank, 2010, S. 71-73; 2012, S. 74-76
  3. Benes und Kumhof, 2012, S. 19-20
  4. Fischer, I., 2007
  5. A Program for Monetary Reform, 2012
  6. Die Rückführung der Banken auf ihr Kerngeschäft hätte 2008 bei Ausbruch der Krise angepackt werden können, denn die Regierungen (insbesondere in den USA, Großbritannien und Deutschland sowie die Kommission der EU) hatten kurzfristig mehr Macht als das weitgehend bankrotte Finanzsystem. Die Regierungen hätten umfassend die bankrotten Institute übernehmen müssen, mit dem Ziel, sie in die angegebene Richtung zu verkleinern.
    Die Spekulation hätte durch die schnelle Einführung einer effizienten Finanztransaktionssteuer reduziert werden können, nach dem Motto, den Finanzsektor, der die Krise verursacht hat, an den Kosten zu beteiligen. Mittlerweile sind sehr gemäßigte Formen in einzelnen Ländern, insbesondere in Frankreich und Italien, eingeführt. Auf EU-Ebene ist sie erklärtes politisches Ziel von 11 EU-Staaten, darunter Deutschland.[vii] Wie zu erwarten, ist der Widerstand des Finanzsektors heftig.[vii] Eine wirklich die Spekulation einschränkende Form einer Finanztransaktionssteuer wird noch auf sich warten lassen.
    Aber für solche tiefgreifenden Aktionen hätten Konzepte und Pläne vorliegen müssen. Zwar übernahmen damals Staaten Geldinstitute, aber nur mit dem Ziel, eine normale Marktsituation wiederherzustellen und dafür die meisten Institute zu retten. 20 bis 30 Jahre Neoliberalismus hatten die Erinnerung an die kühnen Reformen des New Deal unter Roosevelt zur Bändigung der Märkte verdrängt. Das gilt auch für den oben erwähnten Chicago-Plan über das 100-Prozent-Geld. Vielmehr wurde das Finanzsystem weitgehend in der alten Form wiederhergestellt. Spätestens seit der ersten Griechenlandkrise im Mai 2010 müssen die Regierungen und die Zentralbanken wieder um die Gunst der Märkte buhlen, unter Einsatz des Geldes der Steuerzahler und Vertragsbrüchen der EZB beim Aufkauf von Staatspapieren.
  7. Ausführliche Darstellungen enthalten insbesondere die Veröffentlichungen von Huber. Besonders übersichtlich ist der Artikel Huber 2012.
  8. Huber, 2012, S. 40
  9. Der Begriff Seigniorage bedeutet Geldschöpfungsgewinn.
  10. Huber, 2010, S. 137-139; Huber, 2012, S. 51-52;
  11. zuletzt 2013
  12. z.B. 2012
  13. Verein Monetäre Modernisierung (Hrsg.), 2012
  14. Kessler, 2011

 

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