15 Jan 2021

Heinz-J. Bontrup: Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes – wieder einmal nur ein Placebo

Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes –

wieder einmal nur ein Placebo

Mitbestimmung muss holistisch angegangen werden

von Heinz-J. Bontrup

In Deutschland ist von der unternehmerischen Mitbestimmung in Aufsichtsräten die betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Wirtschaftsausschüsse zu unterscheiden. Beide spielen bei einer überfälligen grundsätzlichen Demokratisierung der Wirtschaft die entscheidende Rolle auf einzelwirtschaftlicher Ebene, wobei Wirtschaftsdemokratie in einer ganzheitlichen Betrachtung auch die Meso- und Makroebene der Wirtschaft miteinschließt.[1]

Betriebliche Mitbestimmung

Jetzt will die SPD die betriebliche Mitbestimmung, geregelt im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) (ursprünglich von 1952), novellieren. Das ist gut, wenn auch wohl nur den anstehenden Wahlkämpfen in 2021 auf Bundesebene und gleich sechsfach auf Länderebene geschuldet. Die SPD-Spitze weiß natürlich um den mehr als angeschlagenen politischen Zustand der SPD, gerade bei den Stammwählern im Beschäftigen- und Gewerkschaftsmilieu. Immerhin lobenswert bei der geplanten Novellierung sind die anvisierten Verbesserungen bei den Wahlen von Betriebsräten, die nicht selten von Unternehmern und ihren juristischen Helfern und „Fertigmachern“ (Werner Rügemer) aufs Heftigste behindert und bekämpft werden. Die Zahl der abhängig Beschäftigten, die von einem demokratisch gewählten Betriebsrat kollektiv vertreten wird, liegt nur noch bei 41 Prozent in Westdeutschland und 36 Prozent in Ostdeutschland. Bezogen auf betriebsratsfähige Betriebe sind das Mal gerade neun Prozent in Westdeutschland und 10 Prozent in Ostdeutschland. Die weiter geplanten Veränderungen (Verbesserungen) im Hinblick auf Weiterbildung, mobiler Arbeit (Home-Office) sowie Künstlicher Intelligenz (KI) in den Betrieben, so wichtig sie auch sein mögen, entscheidend sind sie nicht.

Das heute gültige Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), das für alle Betriebe ab fünf Beschäftigte Anwendung findet, wird mit den vorgesehenen Novellierungen substanziell nicht verbessert. Dies wäre nur der Fall, wenn die von Anfang an nicht im Gesetz verankerte paritätische wirtschaftliche Mitbestimmung endlich eingeführt würde. Betriebsräte und Wirtschaftsausschüsse, die sogar erst in Unternehmen ab 100 Beschäftigte gebildet werden können, haben, wenn es um Investitionen, Beschäftigung, Produktionsverlagerungen, Betriebsverkäufe und -zukäufe sowie Gewinnverteilungen geht, nichts zu sagen. So wie die abhängig Beschäftigten auf ein Arbeitsentgelt reduziert werden und für die Kapitaleigner den Mehrwert produzieren müssen, so werden Betriebsräte/Wirtschaftsausschüsse auf eine Scheinmitbestimmung restringiert.

Das Betriebsverfassungsgesetz gewährt den von der Belegschaft demokratisch gewählten Betriebsräten lediglich Mitwirkungs– aber keine Mitbestimmungsrechte. „Die Mitwirkung ist ein schwächeres Beteiligungsrecht als die Mitbestimmung und reicht von bloßer Unterrichtung über die Anhörung bis zur gemeinsamen Beratung. Wesentlich ist hierbei, dass der Unternehmer letztlich entscheidungsfrei bleibt. Bei der Mitbestimmung sind Unternehmer und Betriebsrat gleichberechtigt. Das bedeutet zum einen, dass der Unternehmer keine mitbestimmungspflichtige Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats oder ihren verbindlichen Ersatz durch den Spruch der Einigungsstelle treffen kann. Zum anderen beinhaltet dies, dass der Betriebsrat entsprechende Maßnahmen begehren kann und gegebenenfalls gegen den Willen des Unternehmers durch Spruch der Einigungsstelle durchsetzen kann.“[2] Dabei halten sich aber faktisch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Form eines Initiativrechts, wie z.B. beim Betrieblichen Vorschlagswesen (BVW) oder einem Zustimmungsrecht (wie bei der Anordnung von Mehrarbeit) in Grenzen.

Keine wirtschaftliche Mitbestimmung im BetrVG

Notwendig und wichtig wäre hier deshalb eine eindeutig im Gesetz festgelegte gleichberechtigte (paritätische) Mitbestimmung in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten und insbesondere bei der quantitativen und qualitativen Personalbedarfsplanung, in der übrigens Weiterbildung in der Betriebswirtschaftslehre ein immanenter Bestandteil und eine Selbstverständlichkeit ist. Hier ist realiter von Mitbestimmung im Gesetz aber so gut wie keine Spur. Die heute gegebenen §§ 92 und 92a BetrVG reichen bei Weitem nicht aus, zumal damit keine Mitbestimmungs-, sondern allenfalls nur Mitwirkungsrechte vorliegen. Häufig mangelt es allerdings auch am Fachwissen auf Seiten des Betriebsrates und der Wirtschaftsausschussmitglieder und die Unternehmer wollen ihre Personalpläne den Betriebsräten nicht oder möglichst nur spät offenlegen. Dabei ist klar: wird der Personalplan veröffentlicht, werden auch alle anderen Pläne (Umsatz-, Produktions-, Investitions- und Finanzierungsplan) den Betriebsräten und Wirtschaftsausschussmitgliedern gegenüber sichtbar gemacht. Der Personalplan ist nur ein derivativer Plan. Die dabei gerade für die Mitbestimmungsträger wichtige vorausschauende Personalbedarfsplanung müsste hier eine Brutto-Nettoplanung, die eine adäquate Absentismusrechnung, wozu auch die Weiterbildung und Qualifikation zählt, berücksichtigen und konkret im BetrVG festgeschrieben werden. Hier wäre es dringend notwendig, dass der Gesetzgeber endlich den folgenden § 92 zur Streichung der heutigen §§ 92 und 92a ins Gesetz schreibt:

„Der Unternehmer ist verpflichtet dem Betriebsrat (Wirtschaftsausschuss) eine jährliche und monatliche quantitative und qualitative Personalbedarfsplanung auf Basis von a) Kopfzahlen und b) des Brutto- und Nettoarbeitsvolumens vorzulegen und mit dem Betriebsrat (Wirtschaftsausschuss) zu beraten und einvernehmlich zu verabschieden. Dazu müssen prozessuale stellenbezogene Input-Output-Beschreibungen pro Arbeitsplatz vom Unternehmer erstellt und mit dem Betriebsrat (Wirtschaftsausschuss) abgestimmt und vereinbart werden.“

Von einem solchen „Personalplan-Paragraphen“ ist im Referentenentwurf des „Betriebsrätestärkungsgesetz“ leider nichts zu finden. Auch nicht von einer Novellierung des § 80 (3), wonach Betriebsräte/Wirtschaftsausschüsse Sachverständige zur Unterstützung häufig komplexer ökonomischer Sachverhalte bestellen können. Betriebsräte sind keine Betriebswirte.[3] Die hier heute gegebenen Bestellmodalitäten von Sachverständigen durch Betriebsräte sind zu restriktiv und behindern durch eine ständige Infragestellung einer Erforderlichkeit durch den Unternehmer eine vorausschauende und umfassende Betriebsratstätigkeit. Genauso wie sich jeder Unternehmer das Recht nimmt, ohne den Betriebsrat zu fragen, Unternehmensberater zu bestellen, muss auch der Betriebsrat das autonome Recht zur Bestellung eines Sachverständigen Beraters haben. Dementsprechend ist der heutige § 80 (3) BetrVG wie folgt zu ändern:

„Betriebsräte als auch Wirtschaftsausschüsse haben das autonome Recht zur Bestellung von ökonomisch, juristisch und technisch beratenden Sachverständigen. Diese Autonomie ist betriebsgrößenunabhängig und erfordert lediglich die Beschreibung der Sachverständigentätigkeit in einem Pflichtenheft. Dies ist dem Unternehmer zur Kenntnis zu bringen. Die Bezahlung der Sachverständigen erfolgt gemäß § 40 (1) BetrVG.“       

Einigungsstellenverfahren

Weiter ist eine Novellierung des Einigungsstellenverfahrens (§ 76 BetrVG) ganz wichtig, indem es heute zu keinem Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit nach § 111 BetrVG kommen muss. Die Einigungsstelle wird zwar zwischen Kapital und Arbeit paritätisch besetzt. Bei einer Pattsituation entscheidet aber ein „neutraler“ Vorsitzender, auf den sich beide Seiten einigen müssen, durch einen Spruch. Kann man sich nicht auf einen Vorsitzenden einigen, wird dieser vom Arbeitsgericht bestimmt. Auf Antrag des Unternehmers kann dann, nach ein paar Verhandlungssitzungen, der Interessenausgleich einseitig für gescheitert erklärt werden. Die Rechtsfolge ist, dass der Unternehmer dann die von ihm geplante Maßnahme, z.B. einen Personalabbau, umsetzen kann. Einigungsstellenvorsitzende sind dabei zu fast einhundert Prozent ehemalige oder aktive Richter an Arbeitsgerichten, die in der Regel von Ökonomie nichts verstehen, und sich deshalb auf das rein „juristische abarbeiten“, ohne rechtliche Formalfehler zu begehen, beschränken.

Die Ökonomie, um die es in Einigungsstellenverfahren nur geht, wird dann von den juristischen Vorsitzenden mit der Begründung einer „unternehmerischen Freiheit“ nach Art. 12 GG und dem „Eigentumsschutz“ nach § 14 GG kontrafaktisch beiseitegeschoben. Schließlich könne man dem Unternehmer nicht vorschreiben, wie er sein Unternehmen zu führen habe oder mit wieviel Personal er seine Geschäfte betreiben will. Nimmt man diesen Standpunkt ein, dann erübrigt sich jede wirtschaftliche Mitbestimmung. Dann soll man aber bitte auch aufhören von Mitbestimmung in Deutschland zu faseln. Nimmt man dagegen den Standpunkt einer überfälligen wirtschaftlichen Mitbestimmung ein, dann muss dringend der nicht notwendige Interessenausgleich abgeschafft und durch einen zwingend notwendigen Interessengleich ersetzt werden. Das heißt, die Einigungsstelle ist erst dann beendet, wenn sich Kapital und Arbeit im Konsens geeinigt haben.

Außerdem muss der Vorsitzende einer Einigungsstelle zur Beurteilung der geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen ein ausgewiesener Ökonom oder zumindest ein Wirtschaftsjurist sein, aber auf jeden Fall kein ehemaliger oder gar amtierender Richter eines Arbeitsgerichtes. Darüber hinaus hat der Unternehmer vor Tätigwerden der Einigungsstelle umfassend und schriftlich seine geplante Maßnahme auf Basis wissenschaftlich fundierter betriebswirtschaftlicher Kenntnisse darzulegen. Hier reichen nicht subjektive Vorstellungen des Unternehmers aus. Die Einigungsstelle kann zur Beurteilung Sachverständige hinzuziehen.

Erzwingbarer Sozialplan

Läßt sich am Ende eines Einigungsstellenverfahrens z.B. ein betriebsbedingter Personalabbau nicht verhindern, so wird grundsätzlich ein erzwingbarer Sozialplan, eine Abfindungszahlung, für die Entlassenden nach § 112 BetrVG fällig. Kommt es hier nicht zu einer freiwilligen (konsensualen) Vereinbarung zwischen Kapital und Arbeit, so ist der Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle festzulegen. Dabei ist klar, dass zu einem wirtschaftlichen Nachteilsausgleich, für den Verlust des Arbeitsplatzes, der beste Sozialplan nicht in der Lage ist. Und weil das so ist, kann es wie heute überhaupt nicht sein, dass der Entlassene seine Abfindungszahlung auch noch versteuern muss und der Unternehmer den Sozialplan voll als Personalaufwand steuerrechtlich und damit gewinnsteuersparend geltend machen kann. Diese Asymmetrie ist durch eine Steuerfreistellung von Abfindungszahlungen aufzuheben und dafür die Absetzbarkeit als Betriebsausgabe für den Unternehmer ersatzlos zu streichen. Dies schafft zwar eine neue Asymmetrie, die sich aber damit begründen läßt, dass Personalentlassungen als ein ultima ratio Kriseninstrument gesehen werden müssen und nicht wie heute bereits dann zur Anwendung kommen, wenn der Unternehmer nur seine Profitrate steigern will.

Sozialplankosten bleiben heute für den Entlassenen und für den Unternehmer Sozialabgaben frei. Dies ist für Beide aufzugeben. Abfindungen aus Sozialplänen unterliegen der Sozialversicherung mit Ausnahme der Unfallversicherung im Rahmen der hier festgelegten Bemessungsgrenzen. Die Sozialversicherungen sind eine Solidargemeinschaft.

Auch der in der Praxis ständig auftretende Streit über die monetäre Höhe des Sozialplans muss durch eine allgemeinverbindliche Regelung im Gesetz aufgehoben werden. Dabei ist die folgende Sozialplanformel als eine ökonomisch tragbare und sozial gerechte Formel zu bestimmen:

Durchschnittliches Bruttomonatsentgelt des letzten Jahres vor dem Betriebsausscheiden x Betriebszugehörigkeit x Faktor 1,0. Darüber hinaus sind Sozialfaktoren (wie u.a. verheiratet, Kinder, Schwerbehinderung, Pflegebedürftige Angehörige) mit monetären absoluten Zuschlägen zu berücksichtigen.

Das würde beispielsweise bedeuten, dass ein lediger Beschäftigter ohne Kinder und Schwerbehinderung mit einem Bruttomonatsentgelt von 4.000 € und einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren, eine steuer- aber nicht sozialabgabenfreie Abfindung von 40.000 € erhalten würde. Dies entspricht in etwa gut einem Nettojahresentgelt als berechtigte Opportunitätskosten. Bei einer fünfjährigen Betriebszugehörigkeit wäre es nur ein halbes Nettojahresentgelt und bei einer zwanzigjährigen Unternehmenstreue würde der Entlassene mit einem doppelten Nettojahresentgelt seinen Arbeitsplatz einbüßen, wobei alle Nettoabfindungszahlungen noch um die jeweiligen Sozialversicherungsbeiträge zu berichtigen sind.

Eine Höchstbegrenzung des Sozialplanvolumens besteht außerhalb des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht. Das gesamte Volumen darf aber eine betriebswirtschaftliche Weiterführung des Unternehmens nach vollzogenem Personalabbau nicht gefährden. Die Belastbarkeitsgrenze sollte hier mit einem unterschreiten der Eigenkapitalquote von 25 Prozent festgelegt werden.

Unternehmen, die als Grenzanbieter noch nicht insolvenzreif sind, denen aber die Liquidität zur Finanzierung eines Sozialplans fehlt, können auf Basis wirtschaftlich begründeter Fakten und nach wissenschaftlicher Begutachtung eine staatliche Unterstützung in Form einer Kreditierung erhalten.

Für das Sozialplanvolumen haftet in Konzernunternehmen die Muttergesellschaft für ihre Tochterunternehmen. Dies gilt auch für sog. Besitzgesellschaften, in die Unternehmer ihre Assets ausgegliedert haben und das Personal in den vermögenslosen und damit nicht sozialplanfähigen sog. Produktionsgesellschaften verblieben ist.

Von alledem dringend Notwendigen, steht nichts in dem geplanten „Betriebsrätestärkungsgesetz“.     

 Unternehmerische Mitbestimmung sollte grundlegend novelliert werden

Warum will die SPD aber nicht gleichzeitig mit dem BetrVG auch die unternehmerische Mitbestimmung novellieren? Hier gibt es gleich drei Gesetze: Das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951, das Mitbestimmungsgesetz von 1976 und das Drittelbeteiligungsgesetz von 2004. Alle Gesetze sind hier, wie das Betriebsverfassungsgesetz, nicht hinreichend, um umfassend und gleichberechtigt (paritätisch) die Interessen der abhängig Beschäftigten zu befriedigen. Dies gilt auch für das häufig viel gelobte Montan-Mitbestimmungsgesetz. Immerhin existiert hier aber neben einer numerischen Parität zwischen Kapital und Arbeit im Aufsichtsrat, die im Patt, im Streitfall, von einem „neutralen Mann“, als einem weiteren Mitglied im Aufsichtsrat, aufzuheben ist. Das heißt, die widersprüchlichen Interessen von Kapital und Arbeit sind, soll nicht die Entscheidung durch den „Neutralen“ herbeigeführt werden müssen, im Kompromiss aufzulösen. Eine Seite kann alleine nichts entscheiden.

Das Gesetz von 1951 (novelliert 1956/67/88) gilt aber nur noch für rund 80.000 abhängig Beschäftigte in Bergbaubetrieben und Unternehmen der Eisen oder Stahl erzeugenden (nicht: verarbeitenden) Industrie in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaft und GmbH) und der bergrechtlichen Gewerkschaft mit in der Regel mehr als 1.000 Mitarbeiter: innen. Dies gilt auch für Holdinggesellschaften des Montanbereichs, wo die Konzernwertschöpfung mindestens bei 20 Prozent liegt und der Bereich auf 2.000 und mehr Beschäftigte kommt. Vor dem Hintergrund von über 40 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland ist das Montan-Gesetz mit einem Anteil von nur noch 0,2 Prozent an allen Beschäftigten aber zu einer Marginalie geworden.

Vor 45 Jahren trat dann 1976, sozusagen als Ergänzung, das Mitbestimmungsgesetz für Kapitalunternehmen (vor allem Aktiengesellschaften und GmbHs) mit mehr als 2.000 Beschäftigten in Kraft. Das Gesetz, es gilt nicht einmal für 500 von 2,6 Millionen Unternehmen in Deutschland, das ist ein Anteil von 0,02 Prozent, war politisch hart umkämpft. Eine Kommission, geleitet von Kurt Biedenkopf (CDU), hatte einen Vorschlag für die SPD/FDP-Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) unterbreitet, der letztlich auch Gesetz wurde – der den Gewerkschaften aber nicht gefiel. Zwar bestimmt das Gesetz in den Aufsichtsräten eine numerische Parität bei der Sitzverteilung zwischen Kapital und Arbeit, so dass auch hier bei Abstimmungen Pattsituationen auftreten können. Diese werden aber nicht wie im Montan-Mitbestimmungsgesetz durch ein neutrales Mitglied im Aufsichtsrat aufgelöst, sondern durch ein doppeltes Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, der immer auf Grund des Wahlmodus (notwendige 2/3 Mehrheit) von der Kapitalseite gestellt wird. Damit ist das finale Entscheidungsrecht der Kapitalseite fixiert und unumstößlich. Hinzu kommt noch, dass die Leitenden Angestellten im Sinne von § 5 (3) Betriebsverfassungsgesetz und laut betrieblichen Sprecherausschussgesetz einen Sitz auf der Seite der Beschäftigten im Aufsichtsrat beanspruchen können. Hierdurch kann es bereits zu einer numerischen Macht-Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit kommen.

Im Befund liegt demnach eine wirkliche paritätische (qualifizierte) Mitbestimmung im Mitbestimmungsgesetz von 1976 nicht vor. Es ist eine Mogelpackung. Dies gilt insbesondere für das Drittelbeteiligungsgesetz von 2004. Demnach besteht der Aufsichtsrat in Aktiengesellschaften und GmbHs ab 500 bis 2.000 Beschäftigten nur zu 1/3 aus Vertretern der Mitarbeiter: innen. So hat dann am Ende der ehemalige DGB-Vorsitzende Ernst Breit bis heute Recht behalten, als er in den 1980er Jahren in Sachen Mitbestimmung befragt wurde, und sagte, dass alles was an Mitbestimmung nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz kam, wesentlich weniger und völlig unzureichend war.

Die SPD Bundestagsfraktion hatte Mitte 2010 in Anbetracht dieser unhaltbaren „Mitbestimmungssituation“ in den Aufsichtsräten, lobenswerter Weise, einen Gesetzantrag unter dem Titel „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“ in den 17. Deutschen Bundestag eingebracht. Der Antrag sah eine Abschaffung des Doppelstimmrechts und dafür die Einsetzung eines neutralen Aufsichtsratsmitglieds für alle Kapitalunternehmen (branchenunabhängig), bereits ab 1.000 Beschäftigte vor.

Dabei hatte die SPD die Mitbestimmungsausweitung zu Recht mit einer Kontrolle wirtschaftlicher Macht, als Standortvorteil und zum Schutz des sozialen Friedens in den Unternehmen begründet. Verzichtet wurde bei der Begründung dagegen unverständlicher Weise auf einfache ökonomische Erklärungstatbestände: Nämlich erstens darauf, dass eine Wertschöpfung im Produktionsprozess ohne Arbeit, nur mit Natur- und Umweltgebrauch und einem derivativen Kapitaleinsatz, nicht möglich ist und zweitens nur die menschliche Arbeitskraft einen über ihre Reproduktionskosten hinausgehenden Wert als Mehrwert schafft, der auf Grund des Eigentums am Kapital, den abhängig Beschäftigten aber nicht gehört. Demnach gibt es ökonomisch kein Produktionsergebnis ohne den arbeitenden Menschen, selbst in höchstautomatisierten Betrieben nicht. Dies ist nicht nur der Befund der klassischen Arbeitswerttheorie, sondern auch der neoklassischen (subjektiven) Wertlehre. Nur vorgetane „tote Arbeit“ (Karl Marx) in Form von Produktionsmitteln und Naturgebrauch reichen nicht zur Wertschöpfungsgenerierung, womit dann ökonomisch die Sache klar und eindeutig ist. Warum hat dann aber rechtlich nur das Kapital in den Unternehmen das Sagen? Mehr Widerspruch geht nicht! Hier ignorieren kontrafaktisch Politik und dass Recht die Ökonomie. Das geht bei einer objektiven nicht interessendeterminierten Sicht gar nicht. Aber in einer widersprüchlichen marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung sind natürlich immer Interessen im Spiel und es kommt zu einer „privilegierten Komplizenschaft“ (Adorno/Horkheimer) zwischen Politik- und Kapitaleliten.

Politisch gewollt und rechtlich festgeschrieben zählt hier im Ergebnis das Eigentum an Produktionsmitteln mehr als der arbeitende Mensch und das in ihm gebundene Arbeitsvermögen, das er als abhängig Beschäftigter und eigentumsloser an Produktionsmittel zwanghaft an Kapitaleigner verkaufen muss. Hier stört (unterminiert) paritätische Mitbestimmung die einseitig zugestandenen Verfassungsrechte der Kapitaleigentümer (insbesondere durch die Art. 12 und 14 GG). Deshalb gibt es bis heute auch keine echte paritätische wirtschaftliche Mitbestimmung. Das alles war der SPD als Oppositionspartei 2010 beim Versuch einer Novellierung der unternehmerischen Mitbestimmung natürlich bewusst und so verschwand der Gesetzesantrag für mehr Mitbestimmung schließlich 2013, nach Eintritt der SPD in die Regierung (Große Koalition im 18. Deutschen Bundestag), in der Schublade bzw. er spielte schon bei den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU keine Rolle mehr.

Der Gesetzesantrag der SPD war dabei nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend zur Beseitigung einer marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ausbeutungsordnung. Will man hier fundamentale Veränderungen, so muss unternehmerische Mitbestimmung

  • sich auf alle Rechtformen und Branchen ab einer Größe von 500 Beschäftigten beziehen;
  • in den Aufsichtsräten neben Kapital und Arbeit auch der Umwelt und der Öffentlichkeit durch entsprechende Vertreter Sitz und Stimme geben;
  • das Letztentscheidungsrecht, sollten keine konsensualen Entscheidungen im Aufsichtsrat zustande kommen, den Beschäftigtenvertretern überlassen;
  • die Beschäftigten am Gewinn und Kapital der Unternehmen beteiligen. „Konsequent durchdacht, muß sich die Forderung mitzubestimmen in die Forderung verwandeln mitzubesitzen. Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist denkbar ohne die Verfügung über Produktionsmittel. Ihr Eigentümer hat notwendigerweise ein Übergewicht über den, den er an diesen Produktionsmitteln beschäftigt. Das bloße Mitreden ist eine halbe Sache – erst die Teilhabe an den Produktionsmitteln schafft klare Verhältnisse.“[4] Der Gewinn nach Ertragssteuern geht hier in der Abrechnung zunächst in Höhe der Eigenkapitalrendite an die Kapitaleigner. Danach werden Ausgaben für Erweiterungs- und Innovationsinvestitionen abgezogen und eine Kapitalrücklage gebildet. Der dann noch verbleibende Gewinn wird zu 70 Prozent auf die Belegschaft und zu 30 Prozent auf die Kapitaleigner verteilt. Die Beschäftigten können ihre Gewinnbeteiligung in eine unternehmensbezogene Kapitalbeteiligung

Eine derartige Mitbestimmungsumsetzung, bei der eine wirkliche wirtschaftliche Mitbestimmung gegeben wäre, als auch eine Gewinn- und Kapitalpartizipation, ist aber politisch nicht in Ansätzen auf der Agenda bzw. wird auch insgesamt gesellschaftlich nicht einmal diskutiert.

 Fazit

Das von der SPD initiierte „Betriebsrätestärkungsgesetz“ wird einen grundsätzlichen notwendigen Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland nicht weiterbringen. Sollte der vom Bundesarbeitsminister Huberts Heil (SPD) vorgelegte Referentenentwurf in dieser Legislaturperiode überhaupt noch zur Verabschiedung kommen, so wird man nur von einem Mitbestimmungs-Placebo reden können. Was bei der geplanten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes – völlig unverständlich – gänzlich außen vor bleibt, ist eine mindestens genauso wichtige Novellierung der unternehmerischen Mitbestimmung. Hier hat die SPD 2010 einen durchaus lobenswerten Schritt in die richtige Richtung vorgeschlagen. Warum sie hier nicht zumindest den damals vorgelegten Gesetzentwurf wieder auf die Tagesordnung setzt, ist nicht nachvollziehbar. Zu Fragen ist aber auch, wie sich die Linkspartei im Deutschen Bundestag bei der wichtigen Mitbestimmungsfrage einbringt? Gemäß ihrem Erfurter Grundsatzprogramm von 2011 hätte sie längst einen Gesetzesantrag zur Etablierung einer Wirtschaftsdemokratie ins Parlament einbringen müssen.

Veröffentlicht im OXI Blog 12.01.2021

[1] Vgl. dazu ausführlich: Bontrup, H.-J., Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft, 6. Aufl., Köln 2021

[2] Pulte, P., Das deutsche Arbeitsrecht, 4. Aufl., 2011, S. 87

[3] Vgl. dazu ausführlich: Bontrup, H.-J., Troost, A., Die Bestellung von Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG, in: Memo-Forum, Heft 8/1986, S. 54ff., auch veröffentlicht in: Nachrichten zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Heft 8/1986, S. 19ff.

[4] Preiser, E., Theoretische Grundlagen der Vermögenspolitik, in: Leber, G., Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Frankfurt a.M. 1965, S. 24

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