03 Aug 2019

Immobilienspekulationen und Wohnraummangel

Schwimmen im Geld

Spekulanten im Immobiliensektor profitieren von der Investitionszurückhaltung des Staates. Mangelnder Wohnraum lässt Preise steigen.

von Prof. em. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup

Die Universität Bonn und das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln haben in einer Studie zur „neuen Wohnungsfrage“ Gewinner und Verlierer des deutschen Immobilienbooms ausgemacht: Durch Mietpreissteigerungen wären seit 2011 die Immobilienbesitzer in Deutschland um etwa 3 Billionen Euro reicher geworden. Das entspricht der bundesdeutschen nominalen Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Mehr als die Hälfte der Kapitalgewinne entfielen dabei auf die reichsten 10 Prozent der Deutschen. Aber auch private Haushalte der oberen Mittelschicht (80stes Perzentil) hätten von dem Boom stark profitiert. Ihr Vermögen sei im Durchschnitt um etwa 50 Prozent auf 380.000 Euro gestiegen. Verlierer seien dagegen einkommensschwache städtische Mieterhaushalte.

Jetzt könnte man zynisch sagen, was der eine in einer kapitalistischen Wirtschaft gewinnt, muss ein anderer halt verlieren. Auch auf den Immobilienmärkten wirken eben unnachgiebig die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage. Kommt es zu einer Überschussnachfrage, so steigen die Preise, hier die Mieten. Dies lockt neue Investoren an, die auch vom Boom profitieren wollen. Ganz so einfach ist es dann bei der Wohnungsfrage aber doch nicht. Die Wohnung ist eben eine besondere Ware, weil jeder auf sie angewiesen ist, sie ist ein wirtschaftliches Basisgut. Und entgegen der allgemeinen Marktlogik lösen offensichtlich selbst stark steigende Mieten, bei gleichzeitig niedrigsten Bauzinsen, keine großen zusätzlichen Bauinvestitionen aus. Dies erstaunt, zumal in der Immobilienwirtschaft ohne Kredit gar nichts läuft. Baukredite bekommen aber nicht alle und für keine andere Investition ist die Amortisationszeit so lange wie für Bauinvestitionen; bis zu 50 Jahre.

Außerdem ist der Immobiliensektor stark fragmentiert. Hier gibt es nicht den Investor, sondern die meisten Wohnungsanbieter verfügen über eine oder zwei bis drei Wohnungen. Dabei handelt es sich nicht um professionelle Anbieter bzw. Wohnungsunternehmen. Im Gegensatz zu den acht börsennotierten Immobiliengesellschaften in Deutschland, die die Wohnung als eine reine Finanzinvestition sehen. Aber auch diese viel kritisierten „Mieterausbeuter“ kommen mal gerade auf ca. eine Million Wohnungen. Das sind nicht einmal 2,5 Prozent des gesamten deutschen Wohnungsbestandes. Und selbst wenn man die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen addiert, bleibt der Befund bestehen, das der Immobilienmarkt nicht im Geringsten eine hohe Marktkonzentration aufweist, wie dies heute, im Gegensatz in vielen anderen Branchen, üblich ist.

Der mit Abstand größte deutsche Anbieter, die Bochumer Vonovia SE, kommt mit ihren rund 400.000 Wohnungen nicht einmal auf einen Marktanteil von einem Prozent. Marktmacht impliziert das nicht. Dies heißt aber dennoch nicht, dass einige große Immobiliengesellschaften auf bestimmten räumlich abgegrenzten Teilmärkten trotzdem über starke Markstellungen verfügen. Dies gilt z.B. auf dem Berliner Wohnungsmarkt für das zweitgrößte deutsche Wohnungsunternehmen, die Deutsche Wohnen SE, oder für die Gewoba AG mit fast 42.000 Mietwohnungen auf dem Bremer Immobilienmarkt. Auch haben sich heute größere ausländische Investmentgesellschaften (Private Equity Fonds) oder auch einzelne ausländische vermögende Einzelinvestoren in den deutschen Markt eingekauft.

Trotz geringer Marktkonzentration ist die Immobilienwirtschaft, gesamtwirtschaftlich betrachtet, aber durchaus ein Schwergewicht. Die Zahl der Unternehmen lag hier 2017 bei gut 300.000 mit 478.000 Erwerbstätigen, davon 422.000 abhängig Beschäftigten. Die Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen kam auf 317,8 Milliarden Euro. Dies entsprach an der gesamten deutschen Bruttowertschöpfung einem Anteil von 10,8 Prozent. Und auch bei den Wachstumsraten (preisbereinigt) liegt das „Grundstücks- und Wohnungswesen“ von 2000 bis 2017 mit 27,8 % vor der Gesamtwirtschaft mit 25,2 Prozent.

Mit einem Vorurteil muss hier aber aufgeräumt werden. In der Immobilienwirtschaft werden keine hohen Renditen realisiert. Im Gegenteil: Die Profitraten nach Steuern mit ca. 3 bis 5 Prozent liegen weit unter denen der gesamten Wirtschaft in Höhe von rund 15 Prozent. Die Erklärung ist einfach: Aufgrund der hohen Vorleistungsstrukturen fällt die Wertschöpfung in der Immobilienwirtschaft mit rund 30 Prozent nur gering aus. Nach Abzug der Arbeitseinkommen für die Beschäftigten verbleibt ein Mehrwert, der zu einem Großteil für Zinszahlungen zur Bedienung der Kredite draufgeht. Und Wohnungsunternehmen sind nicht selten selbst Mieter und müssen dann aus ihrem realisierten Mehrwert auch eine Grundrente an Dritte entrichten. So fällt der verbleibende Gewinn eben nicht extrem hoch aus. Bezieht man ihn auf das notwendig hoch eingesetzte Kapital (in keiner Branche ist die Kapitalintensität so groß wie in der Immobilienwirtschaft), kommen eben nur die oben genannten niedrigen Profitraten zustande.

Auch dies ist eine Ursache für die trotz bester Angebotsbedingungen (steigende Mieten, Niedrigzinsen) auf den Immobilienmärkten nur verhalten stattfindende Investitionstätigkeit. Vielleicht sind die potenziellen Investoren aber auch immer noch vom Platzen der weltweiten Immobilienpreisblase 2007 geschockt, die dann die Finanz- und Wirtschaftskrise auslöste, und man traut deshalb der ganzen Entwicklung nicht. Investoren sind halt immer Spekulanten, sie müssen die Zukunft antizipieren. Dabei ist zurzeit aber bekanntlich nicht nur eine Investitionszurückhaltung in der Immobilienwirtschaft zu beobachten, sondern dies gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft und noch mehr für den staatlichen Sektor.

Aufgrund der gigantischen Umverteilung der Wertschöpfungen zu Lasten der abhängig Beschäftigten und zum Vorteil der Kapitaleigner und ihres Mehrwerts, sowie einer ausbleibenden adäquaten staatlichen Besteuerung des Mehrwerts, schwimmen die Unternehmen und Kapitaleigner im Gewinn. In ihrer Gesamtheit liegen die Selbstfinanzierungsquoten (Gewinn plus Abschreibungen in Relation zu den Investitionen) weit über 100 Prozent. Dass also die Investments so gering ausfallen, liegt nicht an zu geringen Gewinnen, sondern an den nur als schwach eingeschätzten weiteren Wachstums- und Renditeaussichten, wozu die weltweit immer weniger werdenden Anlagemöglichkeiten für eine gigantische Überschussliquidität massiv beitragen. Staatliche „Schuldenbremsen“ wirken hier zusätzlich noch kontraproduktiv.

Am Ende schließt sich dann der Kreis. Trotz reichlich vorhandener Finanzierungsmasse gibt es keine inhärente Marktlösung für die Wohnungsknappheit. Deshalb muss der Staat intervenieren und zum Bauherrn werden. Er muss gezielt auf den verknappten regionalen Wohnungsmärkten das Wohnungsangebot ausweiten. Nur so lassen sich die Mieten nachhaltig senken. Und kurzfristig muss er für einkommensschwache Mieter ein notwendiges Wohngeld zahlen. Geld zur Finanzierung dieser Maßnahmen ist jedenfalls im Überfluss vorhanden. Es muss nur durch eine steuerliche Abschöpfung den Reichen genommen werden.

Erstveröffentlichung in: Junge Welt, Spezial: Kampf ums Wohnen, vom 17. Juli 2019, S. 2

 

 

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