30 Mai 2015

Erziehung: Eine permanente Gratwanderung

von Pan Pawlakudis

 

Aus nicht geliebten Kindern, werden Erwachsene, die zumindest Schwierigkeiten haben zu lieben oder einen überdurchschnittlichen Bedarf an Zuneigung entwickeln. Sicherlich sind dies extreme Resultate. Dazwischen liegt der Durchschnitt. Die Erziehung von Kindern wird häufig als schwere Bürde wahrgenommen und verlangt von den Eltern, wenn nicht gleich ein Erziehungsdiplom mit akademischem Abschluss, zumindest Abitur ab.

Es wird auch behauptet, dass die Erziehungsqualität das Ergebnis der elterlichen Schulbildung sei. Je höher der Schulabschluss, desto qualitativer die Erziehung. Ein promovierter Lehrer wäre demnach qualifizierter das eigene Kind zu erziehen als ein Elektriker, eine Schneiderin oder ein Kaufmann. Wenn das wahr wäre, bräuchten wir uns keinerlei Sorgen mehr zu machen.

Die eigene Ausbildung spielt bei der Erziehung eine äußerst unbedeutende Rolle. Wissen zu vermitteln ist Teil der Erziehung aber nicht ihr Kern. Es ist eine Frage der eigenen Vorstellung, wie ein Kind erzogen wird und eine Frage der eigenen Charaktereigenschaften, der eigenen Intellektualität. Meist spiegelt sich die eigene Erziehung, in der Erziehung des Kindes wider. Eltern verzeihen ihren Kindern genau die Fehler am schwersten, die sie ihnen selbst anerzogen haben. Es dient keinem höheren Ideal, ein Abbild des eigenen „Ich“ zu kopieren und die Fußstapfen, in die das eigene Kind treten soll, vorzugeben 

Erziehung besteht erstrangig aus zwei Dingen: Das Beispiel und die Liebe. Das Leben der Eltern ist das Buch, aus dem die Kinder lesen und sich „bilden“. „Bildung“ heißt Erschaffen, Formen, Gestalten. Gewohnheit ist stärker als Vernunft, weil sie täglich geübt wird, denn Vernunft bedarf der Auseinandersetzung mit einer Sache. Vernünftig zu erziehen, bedeutet auch zu akzeptieren, dass Kinder eigene Persönlichkeiten sind und eine eigene Vernunft besitzen. Der Kern der Erziehung liegt in der Gratwanderung, die eigenen Träume oder Vorstellungen mit denen des Kindes zu vereinen. Was dabei herauskommt, ist kein Kompromiss, sondern ein neuer Weg, den beide akzeptieren können.

Wenige sind imstande, von der Umgebung abweichende Meinungen auszusprechen; die meisten sind sogar unfähig, überhaupt zu solchen Meinungen zu gelangen. Der allgemeine gesellschaftliche Druck, in eine bestimmte Richtung zu handeln, manipuliert die elterliche Erziehung derart, dass sie, die Eltern, kapitulieren und es hinnehmen. Die Erziehungsaufgabe besteht nicht darin das Gehirn lediglich mit Wissen zu füllen, sondern das Denkvermögen auszubilden. Kinder einfach sich selbst zu überlassen, wäre dasselbe, wie einem Fisch das Wasser zu zeigen, aber ihn hindern zu schwimmen. Kinder brauchen Anleitung und Anregung; ihr Geist ist wie ein junger Baum: bei starkem Wind biegt er sich, bricht aber nicht. Das soll im Umkehrschluss keineswegs bedeuten, dass man Kindern alles Mögliche an Leistung abverlangen kann: Englisch mit 3, Geige mit 5 und gleichzeitig eine Sportskanone. Montags reiten, Dienstag Judo, Donnerstag Ausdruckstanz und Freitag Kniggekurs.

Dem gesellschaftlichen und politisch korrekten Druck können viele Eltern nicht standhalten und überfordern sich selbst und, was bedeutend wichtiger ist, ihre eigenen Kinder, die, sobald sie ein bestimmtes Alter erreichen, sich immer mehr vom gesellschaftlichen und sozialen entfernen. Hiernach kann kaum die Rede von Zusammenleben sein. Statt auf dem Bolzplatz dem Ball nachzulaufen, folgen schon Kleinkinder einem strengen Zeitplan. An der gesellschaftlichen Positionierung der Sprösslinge, so scheint es mitunter, entscheidet sich heute das Schicksal der Eltern und nicht anders herum! Die Schulwahl wie die Freizeitgestaltung geraten dabei zum Kampf um die Zukunft schlechthin. Für manche Mutter wird der bevorstehende Mathematiktest zum globalen Krisengipfel. Und wenn der Junge beim Fußballtraining mal wieder weint, anstatt den Ball beherzt ins Tor zu schießen, zweifelt der ambitionierte Vater zuerst am Trainer, dann am Erziehungskonzept und schließlich am eigenen Kind selbst.

Was Eltern mittlerweile mit ihrem Nachwuchs veranstalten dient wohl mehr der Selbstberuhigung einer verunsicherten Nach-68er-Generation als der Förderung der Kinder. Die Verunsicherung der Eltern, in einer rasant globalisierten Gesellschaft zu bestehen, versetzt manches Kind in einen Spannungszustand, in dem die Kindheit sicher nicht mehr die Kindheit sein kann, wie sie die Eltern in den sozial sichereren Zeiten der 1970er und 1980er Jahre erlebt haben. Nirgends wirkt sich der Druck so stark aus wie in der Schule – dem Sprungbrett in die Arbeitswelt.

Nicht alle Kinder verkraften daher den steigenden Druck und reagieren auf die Hoffnungen der Eltern mit Verweigerung. Immer schlechter werdende Klassenarbeiten bringen schlechte Noten auf ein Zeugnis und nach Hause. Eine Schulreform könnte gerade solchen Kindern zu Gute kommen, zielt sie auf eine Stärkung des gemeinsamen Lernens. Ausgerechnet Eltern melden Bedenken an: Auf die neue Sekundarschule sollen Kindern, die heute überwiegend Realschul- oder Hauptschulempfehlung hätten, vielleicht besser doch nicht gehen. Den Trend, den Bildungsexperten seit Jahren beobachten, wird die Berliner Schulreform so nicht stoppen können: Der Druck auf Kinder nimmt zu, den Sprung auf ein Gymnasium zu schaffen. Die Abschaffung von Haupt- und Realschule und die Schaffung eines 6-Jährigen Gymnasiums (oder 3 Jahre Gymnasium, 3 Jahre Lyzeum) würde die elterlichen Ambition erheblich dämpfen, des Kindeswohls zuliebe!

 

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