14 Mai 2016

Ohne Schuldenschnitt kein Neuanfang

von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup

 

Der Schuldnerstein hängt Griechenland wie ein Mühlstein um den Hals. Das ist ökonomisch falsch und hilft niemandem.

Nicht erst einmal mussten sich die Griechen in ihrer Geschichte mit einem Kapitalschnitt retten. Zuletzt 2010 mit rund 110 Milliarden Euro. Das war aber zu wenig an Schuldenstreichung. Es wird kein Weg an einer nochmaligen Entlastung der öffentlichen Verbindlichkeiten vorbeigehen, die sich mittlerweile, nicht zuletzt durch eine kontraproduktive Austeritäts- beziehungsweise Kürzungspolitik, auf 316 Milliarden Euro aufgehäuft haben. Das waren 2015 fast 195 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Tendenz steigend.

Es gibt jedoch im neoliberalen Lager nach wie vor hartnäckige Verweigerer eines Schuldenschnitts. Allen voran der deutsche Finanzminister. Der Jurist Wolfgang Schäuble versteht offensichtlich die Ökonomie nicht. In jedem Lehrbuch der Makroökonomie steht etwas über das „gesamtwirtschaftliche Sparparadoxon“, das sich aus der „einzelwirtschaftlichen Rationalitätsfalle“ ergibt.

Das bedeutet: Für einen privaten Haushalt ist es rational, sein Vermögen durch Sparen zu vermehren. Tun es aber alle, dann gehen auch die Einnahmen (Umsätze) der Unternehmen zurück und der Staat nimmt weniger Steuern ein. Die Krise ist dann da. Kürzt jetzt zusätzlich noch die Politik wegen der neoliberalen Forderung nach einer „schwarzen Null“ im Staatshaushalt die öffentlichen Ausgaben, verhält sich also parallel zu den Privaten, dann verschärft sich die Krise gefährlich. Am Ende haben alle durch ihr Sparen (Kürzen) nicht mehr, sondern paradoxerweise weniger Vermögen oder noch mehr Schulden.

Mit einer solchen Politik wurde die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, zerstört und dem Hitler-Faschismus 1933 der Weg bereitet. Heute haben die Kürzungsorgien aus Griechenland eine Elendsökonomie gemacht. 25 Prozent registrierte Arbeitslose, die wirkliche Zahl ist noch höher, und eine Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen von 50 Prozent – das sind dafür nur zwei konkrete ökonomische Anhaltspunkte.

Die griechischen Gläubiger und ihren besten Interessenanwalt, Schäuble, interessiert das aber nicht. Sogenannte Rettungspakete in Höhe von mittlerweile 216 Milliarden Euro, deren Vergabe an eine brutale Austeritätspolitik geknüpft ist, schützen letztlich nur das Kapital der Vermögenden, die Griechen selber werden immer tiefer in die Verschuldung getrieben. Nur 9,7 der 216 Milliarden Euro neuer Kredite, stellt eine Studie der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin fest, sind über den Staatshaushalt zumindest mittelbar dem griechischen Volk wieder zugutegekommen. Mit 86,9 Milliarden Euro wurden alte Schulden in neue verwandelt und 52,3 Milliarden mussten die Griechen ihren vermögenden Gläubigern an Zinsen überweisen. Darüber hinaus flossen 37,3 Milliarden Euro der Rettungspakete an die Banken, um sie vor der Insolvenz zu bewahren.

So wird das nichts mit der Rettung. Die ESMT fordert daher zu Recht einen wirksamen, gezielten Schuldenschnitt. Mit Schuldenstreckung und Zinsaussetzung ist es nicht mehr getan. Schuldenstreckung verteuert am Ende nur den Kredit. Und wenn die Rückzahlung (Annuität) auch weit hinausgeschoben wird, hängt das Schuldnersein doch wie ein Mühlstein am Hals und belastet die Volkswirtschaft mit der immer wieder von den Gläubigern angemahnten, noch zu begleichenden Forderung.

In diesem Kontext von Schuld und Sühne sei an den großen britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) erinnert, der in Anbetracht der wirtschaftlichen Folgen für Deutschland aus dem Versailler Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg damals vor den völlig überzogenen wirtschaftlichen Erwartungen der Siegermächte warnen. Die Deutschen und ihre erste demokratische Republik konnten die auferlegten Reparationszahlungen nicht leisten. In der Folge entstand ein enormer ökonomischer und sozialer Druck im Inneren, der letztlich politisch in den Hitler-Faschismus und in die Katastrophe führte.

Um den Reparationszahlungen wirklich nachkommen zu können, hätten die Alliierten Handelsdefizite bei sich selbst und damit Handelsüberschüsse bei den Deutschen akzeptieren müssen. Dies wollten sie aber zum Schutz ihrer eigenen Wirtschaft nicht und zogen deshalb verheerende protektionistische Maßnahmen vor. Hier zeigen sich deutliche Parallelen zu Griechenland: Der geforderte Schuldenabbau beziehungsweise die Befriedigung der Gläubiger kann nur durch eine Drosselung der griechischen Importe sowie Schrumpfung des Wachstums und des Volkseinkommens, bei extrem hoher Massenarbeitslosigkeit, also durch Herbeiführung einer Elendsökonomie, geleistet werden.

Als Alternative könnte Griechenland auf Exportüberschüsse setzen. Es verfügt aber über keine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft, sondern über eine stark negative Leistungsbilanz. Dann bliebe noch eine binnenwirtschaftliche getriebene Wachstumsstrategie. Dazu müsse ein umfangreiches sozialökologisches Investitionsprogramm aufgelegt werden, das jedoch durch die von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds aufgezogene Austeritätspolitik verhindern wird.

So bleibt ökonomisch nur noch ein Befreiungsschlag durch einen Schuldenschnitt, um zumindest die Chance für einen Neuanfang zu bekommen. Ansonsten ist Griechenland nicht mehr zu retten. Wir wissen dann aber auch, wer das zu verantworten hat. Übrigens hat Deutschland erst im Oktober 2010, fast hundert Jahre nach Versailles, die letzte Rate der Reparationsschuld an die Alliierten überwiesen.

 

 

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