02 Apr 2015

Abkehr von der Gewinnmaximierung

von apl. Prof. Dr. Eberhard Umbach

 

Aus dem Aufsatz „Soziale ökologische Marktwirtschaft – Alternative zum Finanzkapitalismus“

Kernaussage

Die heute in der Wirtschaft geforderte Maximierung der Gewinne – auf Kosten des Wohls von Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden, der Umwelt -, führt zu Wirtschaftskrisen, Verelendung von Bevölkerungsgruppen, Demoralisierung der Menschen und Zerstörung der Umwelt. An seine Stelle muss die Gemeinwohlorientierung treten, mit angemessenen Gewinnen, Wertschätzung der Mitarbeiter, Beachtung des Umweltschutzes.

 

Erläuterung

Das Problem

Angemessene Gewinne sind ein wichtiger Anreiz für Investoren, ihr Kapital für produktive Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Zinsen und Gewinne, im angemessenen Rahmen, sind eine grundsätzlich sinnvolle Gebühr für die Überlassung von Kapital an andere Nutzer. Oder sie sind eine notwendige Belohnung für eine eigene Investition zur Produktion von nützlichen Gütern und Dienstleistungen. Gewinnmaximierung dagegen ist eine oft gefährliche Übertreibung von Gewinnorientierung. Sie führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass im Wirtschaftsgeschehen die Interessen von Investoren, Firmeneignern und Firmenmanager als vorrangig und ausschlaggebend betrachtet wurden und noch werden. Die legitimen Interessen der Arbeitnehmer, der Lieferanten, der Kunden, der Gesellschaft als Ganzes und der Umwelt zählen da nicht. Nach dieser Sichtweise ist ein Unternehmen eine Maschine zur Erzielung von maximalem Gewinn für die Eigentümer. (Diese lassen im eigenen Interesse ihre Spitzenmanager an Macht und Gewinnen teilhaben.)

Wo bleibt dabei die Berücksichtigung des langfristigen Überlebens der Gesellschaft, des Gemeinwohls, des Wohlergehens von uns allen?

In der Sozialen Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik, bis in die 1980er Jahre, im sog. Rheinischen Kapitalismus, war in Verhandlungen und Abstimmungen zwischen Regierung, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Banken das Gemeinwohl eine wichtige Größe. Solche Abstimmungen liefen informell in den Aufsichtsräten der mitbestimmten Montankonzerne. Zwischen 1967 und 1976 gab es sogar ein eigens dafür bestimmtes Gremium, die Konzertierte Aktion. Deshalb waren in Deutschland die Löhne in der Industrie höher als in den gewinnmaximierenden angelsächsischen Ländern. Und die Gewinne waren niedriger.

Das führte in den 1990er Jahren zu Problemen im Kontext der Globalisierung. Diese war nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 weltweit überstürzt intensiviert worden. Die marktradikale US-amerikanische Regierung unter Präsident Bush Senior fühlte sich als Sieger im Kalten Krieg und nutzte diese Vormachtstellung, um über IWF und Weltbank den meisten Staaten ihr System aufzuzwingen. Die dafür 1994 gegründete Welthandelsorganisation WTO berücksichtigt einseitig die Kapitalverwertung, die am besten bei Freihandel und Freizügigkeit des Kapitals gedeiht. In den Statuten der WTO sind Freihandel und Freizügigkeit des Kapitals die vordringlichen Ziele. Angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und Umweltschutz sind nebensächlich.

Neben der Realwirtschaft wurde ein spekulativer Finanzsektor ausgebaut, begünstigt durch eine fortschreitende Deregulierung des Finanzsystems. Dadurch wurde die Gewinnmaximierung im von den Banken per Kreditgeldschöpfung geschaffenen und immer mehr ausgeweiteten Finanzkapital weiter erleichtert – unter Inkaufnahme von steigenden Risiken und bis hin zu betrugsartigen Praktiken wie dem weltweiten Verkauf von minderwertigen US-amerikanischen Hypotheken, verpackt, „verbrieft“ in Assett Backed Securities (ABS) – die die Ratingagenturen mit Bestnoten ausstatteten. Hier sind die 25 % Kapitalrendite angesiedelt, die das Ziel einiger der großen Banken der Welt markierte, unter anderem der Deutschen Bank unter ihrem Vorstandsvorsitzenden bis Juni 2012, Joseph Ackermann.

Auch die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung ist nach den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit nebensächlich in einer Wirtschaft mit Gewinnmaximierung. Hemmungslos nutzen seit 2008 bis heute vor allem die Großbanken ihre Machtstellung aus, um die Verluste aus ihren Fehlspekulationen und ihren leichtsinnigen Kreditvergaben den Steuerzahlern aufzubürden. In mehreren südeuropäischen Euro-Staaten führt dieses Verhalten zu immer dramatischeren Krisen. Aber auch in Deutschland sind die Sparzwänge der öffentlichen Hände Ursache für zunehmende Einschränkungen der öffentlichen Leistungen, bis jetzt vor allem im kommunalen Bereich. Dass Gemeinden ihre freiwillige Jugendarbeit einstellen müssen, begünstigt Politapathie und Rechtsradikalismus. Die Demokratie gerät, durch Gewinnmaximierung und Mangel an Gemeinwohlorientierung der meisten Großbanken und vieler Konzerne, in die Defensive.

Allerdings wäre es falsch, exzessive Gewinnorientierung ausschließlich Banken und Konzernen anzulasten. Das Streben nach Gewinn und möglichst auch schnellem Gewinn ist Motivation von vielen Menschen in vielen Gesellschaften. Solange das Gewinnstreben nicht zu Straftaten führt und sich aus der Ansammlung von Reichtum keine dominanten gesellschaftlichen Machtpositionen ergeben, ist das eine Handlungsmotivation, mit der die Gesellschaft leben muss und auch kann. Der Reichtum Einiger führt häufig auch zu Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Entwicklung. Allerdings ist der Grat zwischen akzeptablem und zu verurteilendem Verhalten sehr schmal. Nicht umsonst sind Klagen über Exzesse der Reichen und Mächtigen schon in den ersten schriftlichen Dokumenten der Menschheit ein wichtiges Thema: z.B. 3500 v. Chr. im Gilgamesh-Epos aus Uruk in Mesopotamien und später in der Bibel, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Und Zinsverbote oder Einschränkungen des Geldverleihs gab es im Laufe der Geschichte für Christen und gibt es noch für Muslime.

In der immer noch andauernden Periode des Marktradikalismus seit 1990 wurden Eigennutz, Konkurrenz aller gegen alle und Gewinnmaximierung zu das Wirtschaftsleben dominierenden Motivationen. Andere Sicht- und Verhaltensweisen gelten als verweichlicht und misserfolgsträchtig. Die Ergebnisse können wir in den Krisen seit 2008 und in den Gerichtsprozessen gegen Manager aus dem Bankensektor besichtigen.

Nach den Fehlspekulationen privater wie staatseigener Banken in den letzten 10 Jahren, mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, kann niemand mehr behaupten, dass die Märkte eine irgendwie geartete höhere Weisheit besäßen. Hier haben weltweit führende private und auch öffentliche Bankhäuser Verluste in Billionenhöhe für fast alle Volkswirtschaften der Welt verursacht und dann die Regierungen zu Geiseln gemacht, um die Verluste zu sozialisieren. Das ist ein nicht zu reparierender Verlust der Glaubwürdigkeit der Marktideologie. Dieser Zusammenbruch der Marktideologie ist ebenbürtig dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaft in der Sowjetunion 1989-91.

Natürlich haben auch Politiker in den letzten 20 Jahren gravierende Fehler gemacht, aber sie geschahen im Kontext des Glaubenssystems des Marktradikalismus. Auch in Deutschland wurde diskutiert, die Güter produzierende Industrie stillzulegen und zur „Dienstleistungswirtschaft“ überzugehen, so wie in Großbritannien. Dass diese Dienstleistungen in Entwicklung und Vertrieb von „Finanzdienstleistungen“ bestanden, wurde in der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen. Die Produkte dieser Finanzdienstleistungen, besonders Derivate wie die schon erwähnten ABS, lösten  ab 2007 und besonders 2008 die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aus – ein Zusammenwirken von Fehleinschätzungen in Wirtschaft und Politik.

Auch außerhalb des Finanzsektors gab es in Konzernen gravierende Fehlentscheidungen, z.B. in Form von Firmenübernahmen, die sich als riesige Verlustquellen erwiesen. Bei einem deutschen Automobilkonzern führten solche „Geschäfte“ zu Verlusten in zweistelliger Milliardenhöhe.

Leider ist im aktuellen Wirtschaftssystem die Bedarfsdeckung durch die Bedarfsweckung ersetzt worden: durch Werbung werden Wünsche nach Gütern und Dienstleistungen geweckt. Die Erfüllung dieser Wünsche hält die Zufriedenheit der Konsumenten auf dem vorhandenen Niveau, erhöht aber die Gewinne von Produktionswirtschaft und Handel und führt zu zusätzlichem Material- und Energieverbrauch mit entsprechender Umweltbelastung.

Eine arbeitsteilige Weltwirtschaft und Weltgesellschaft ist ein viel zu delikates, auf Vertrauen angewiesenes System, als dass es mit dominantem Eigennutz ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer Menschen und der Umwelt – eben mit Gewinnmaximierung – dauerhaften, nachhaltigen Erfolg haben kann.

 

Die Lösung

Erfreulicherweise hat die neoliberale Ideologie in Deutschland nicht so umfassend zerstörerisch wirken können wie etwa in Großbritannien. Ihre Gefolgschaft war in Deutschland nicht so stark wie dort. Automobilindustrie, Maschinenbau, chemische Industrie blieben erhalten und expandierten. Innovative, flexible Familienunternehmen und Neugründungen (Start-ups) behielten ihre Chancen und bauten sie aus. Die Bereiche Umwelttechnik und regenerative Energien wurden entwickelt – auch das in einem Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik. Hier geht es nicht in erster Linie um Gewinnerzielung, sondern um Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Gütern, die die Bedürfnisse von Kunden befriedigen.

In diesem Kontext ist die in Deutschland beschlossene Energiewende ein wichtiger Baustein. Sie ist auf die Lösung eines Jahrhundertproblems hin orientiert, die Schaffung eines Energiesystems auf der Basis von Sonne und Wind, um eine dramatische Aufheizung des Weltklimas zu vermeiden. Wenn Deutschland hier eines der Vorreiterländer bei der Technikentwicklung und ihrem Einsatz bleibt, kann mit auskömmlichen Gewinnen gerechnet werden. Nicht akzeptiert werden kann allerdings, dass schwer umgehbare Beteiligte, wie etwa die großen Energiekonzerne, Gewinnerwartungen in zweistelliger Höhe einbringen und diese im politischen Prozess als normal betrachtet werden. Die Gewinne aus der Energiewende fallen in Jahrzehnten an. Jetzt überhöhte Renditen anzustreben bedeutet, dass die privaten Kleinverbraucher noch mehr belastet werden.

Die geforderte Abkehr von der Gewinnmaximierung muss sich auf der Ebene der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Regierungen und der einzelnen Bürger vollziehen.

Überall muss sich die Einsicht verbreiten, dass der Marktradikalismus der letzten 20 Jahre eine Fehlentwicklung darstellt, die korrigiert werden muss. Es muss wieder zum Allgemeinwissen gehören, dass es falsch ist, einseitig den Staat als schlechten Wirtschafter darzustellen und demgegenüber die Privatwirtschaft als Hort von Effizienz bei der Schaffung von Wohlstand, mit Gewinnmaximierung als Motor.

Richtig ist vielmehr, dass es auf die Ziele und Werte ankommt, die in einer Institution maßgeblich sind und auf die die Führungspersonen und alle Mitarbeiter verpflichtet werden. Gewinnmaximierung hat uns in die Krise, manche Staaten auch ins Desaster, geführt. Kehren wir jetzt zurück zu den Werten der Gründerväter der deutschen Industrie und der heute erfolgreichen Familienunternehmer! Diese Werte sind insbesondere Solidität, Qualität, Verlässlichkeit, Mitarbeiterwertschätzung, Langfristperspektive. Auf dieser Basis werden in der Regel auch angemessene Gewinne erzielt.

Dabei spielt auch die Rechtsform der Unternehmen eine Rolle. Im gegenwärtigen Aktienrecht sind Vorstand und Aufsichtsrat eines Unternehmens nur den Aktionären verantwortlich. Die meisten Aktionäre favorisieren im gegenwärtigen marktradikalen Kontext Gewinnerzielung als dominante Unternehmensorientierung.

In Familienunternehmen ist das nicht ganz so ausgeprägt. Dort ist häufig entweder der Gründer noch aktiv und denkt über Quartalszahlen hinaus. Oder die Nachkommen des Gründers haben eine emotionale Beziehung zum Unternehmen und verzichten auf maximale Rendite zu Gunsten des langfristigen Überlebens der Firma. Es kommt also auch auf das Wertsystem der Anteilseigner an.

Weniger gewinnorientiert sind meistens auch kommunale Unternehmen, wie Stadtwerke zur Erfüllung bestimmter Grundbedürfnisse der Bürger. Eine Renaissance der kommunalen Unternehmen kann bereits festgestellt werden. Hier hängt das Ausmaß der Gewinnorientierung von Gemeindeverwaltungen und Gemeindeparlamenten ab.

Es gibt andere Rechtsformen, in denen Anteilseigner Gewinnmaximierung nicht so leicht erzwingen können. Dazu gehören Genossenschaften und Stiftungen, die für die Deckung eines Bedarfes (Produktion eines bestimmten Produkts) errichtet werden. Dann müssen sie Kostendeckung erreichen, einschließlich der angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Ihre Leistung wird durch die Verbraucher gemessen an Qualität und Preis der Produkte, nicht aber von den Aktionären an der Höhe des Gewinns.

Bei der schon in der Einleitung genannten Gemeinwohl-Ökonomie wurde die Gemeinwohl-Bilanz eingeführt, parallel zur jetzt allein üblichen Finanzbilanz. Mit 18 Indikatoren wird jährlich von den beteiligten Firmen gemessen, wie sie die Werte des Gemeinwohls (Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Demokratie) realisieren. Es gibt viele Möglichkeiten, dem Diktat der Gewinnmaximierung zu entgehen. Jede Person, jede Firma kann den Weg aussuchen, der ihrer Situation am besten entspricht.

 

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