29 Mrz 2015

Wirtschaftskrisenmanagement

von Wilhelm Neurohr

 

Wachstumsgrenzen überschreiten? – Zur falschen Botschaft an die Konsumenten

Mit Beginn des Jahres 2009, nach dem unerwarteten Kaufrausch vor Weihnachten im Krisenjahr 2008, wollte auch die zögerliche deutsche Bundesregierung zur Abwehr der Wirtschaftskrise den „privaten Konsum anheizen“. Die falsche Botschaft an die Konsumenten: Kaufen um des Kaufens willen, Verbrauchen um des Verbrauchens willen, Wachstum um des Wachstums willen. Macht der neue Wachstumsfetischismus im Dienste des Mammons unsere angeschlagene Finanz- und Wirtschaftsordnung fit für das 21. Jahrhundert? Doch nur immaterielles Wachstum ist grenzenlos; unbegrenztes materielles Wachstum zerstört unsere Lebengrundlagen.

Die Wirtschaftsweisen haben den Staat aufgefordert, seine Ausgaben zu erhöhen, um Wachstum zu provozieren, ohne die Folgen zu bedenken: „Wenn die Staaten dem Wachstum zuliebe bereit sind, nicht vorhandenes Geld auszugeben, gehört nicht viel Phantasie dazu, die nächste Krise durch kollabierende öffentliche Haushalte vorauszusehen. Wer mit viel Geld spontanes Wachstum schafft, kann zwar kurzfristig als Retter der Wirtschaft dastehen und sich über die Wahlperiode hinweg dilettieren. Er wird der Wirtschaft damit aber nicht helfen, sondern sie ruinieren.“ *) Das ständige Wachstum durch überflüssigen Konsum hat ja direkt in unsere heutige Krise geführt und wird uns in den nächsten Jahren in eine Dauerkrise führen.

Das Lob an die Verbraucher, dass sie im Weihnachtsgeschäft bei sinkenden Preisen ihre Glücksgefühle „sinnvollerweise“ beim Kaufen ausgelebt haben, war ein vergiftetes Lob aus der materialistischen Gesinnung der neoliberalen Verirrung. Produktion und Konsumverhalten können nicht um des Verbrauchens willen sinnvoll sein, sondern um Lebensintentionen und Gemeinsinn zu verwirklichen. **)

Nicht das Angebot darf die Nachfrage bestimmen, sondern umgekehrt. Es handelt sich also um politische Vorschläge „aus der Mottenkiste“, für die bisherige Umweltziele hinten angestellt werden: Konsum über alles. Kauft und vergiftet die Umwelt.“ So wollen die Politiker die Krise bewältigen? Jede neue Krise nach dem Abflauen des provozierten Wachstums wird heftiger werden als die jeweilige zuvor und das materiell-quantitative Wachstum mit steigendem Verbrauch wird über kurz oder lang vor die Wand laufen. Einen solchen Dauerkonsum können wir uns nicht leisten.

 

Kurieren an Symptomen ohne ökologische Verantwortung?

Die fatale Haltung der hilflosen und ratlosen Krisenmanager und ihrer irreführenden Ratgeber: Die dem Materialismus und Egoismus dienende Wirtschaft selbst mit ihrem Wachstumszwang soll sich nicht nachhaltig ändern müssen. Problemlösung durch Wachstum und Konsum soll dazu beitragen, dass alles beim Alten bleiben kann, durch bloßes Kurieren an Symptomen. Die Krise wird nicht als Chance zur Änderung ergriffen und die Sinnhaftigkeit des Handelns nicht hinterfragt. Weiterhin gilt die Anschauung, dass der erfolgte Abbau von Sozialleistungen und die Deregulierung der Finanzmärkte das jahrzehntelange Wachstum gesichert haben.

Dem einhelligen Glauben der Ökonomen an das Wachstum zur Problemlösung widersprach schon der amerikanische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Kenneth Ewart Boulding: „Jeder, der glaubt, dass exponentielles Wachstum für immer weiter gehen kann in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.“ Doch die „Unverzichtbarkeit des Wachstums“ ist ideologie-übergreifender Bestandteil des herrschenden ökonomischen Glaubensbekenntnisses mit seinen Denkblockaden. „Es ist unerträglich, mit welchem Werbeaufwand wirtschaftliche Produkte auf den Markt gebracht werden, die für den Verbraucher absolut überflüssig sind, und mit welcher Perfidie die Politiker und Wirtschaftsweisen der Bevölkerung das Heil durch Konsum versprechen.“ ***) Am Ende landen die gebrauchten Klamotten in Afrika und zerstören dort die einheimischen Produktionsstrukturen.

 

Ideologische Glaubensbekenntnisse anstelle von Realitätssinn?

Damit sind die nächsten Krisen vorprogrammiert, denn die Grenzen des exponentiellen Wirtschaftswachstums sind spätestens seit dem Bestseller von Dennis Meadows aus 1972 bekannt: „Die Grenzen des Wachstums“. In einer assoziativen Wirtschaft würde hingegen die Frage der ökologischen Verantwortung in das Wirtschaftsgeschehen selbst hineingetragen. Denn mit dem ökologischen Raubbau an der Natur und ihren Ressourcen als Folge grenzenlosen Wachstums zerstören wir weiter den Planeten Erde, der unsere gemeinsame Lebensgrundlage darstellt. Mit einer solchen gleichgültigen bis zerstörerischen materialistischen Gesinnung kann weder die Heilung des Erdenplaneten erfolgen noch die soziale Phantasie aufgebracht werden zur Lösung der aktuellen und sich katastrophal verschlimmernden Wirtschaftskrisen. Die erforderliche Kontrolle der Finanzmärkte ist nur ein Nebenschauplatz, um die Geldkreisläufe mehr am wirtschaftlichen Gemeinwohl zu orientieren, aber er ersetzt nicht eine grundlegende Veränderung unseres gesamten Wirtschaftens und Geldwesens. Dazu aber herrscht Funkstille und keinerlei Bereitschaft und Ideenfundus.

 

Reduziertes materielles Wachstum und unendliches immaterielles Wachstum

Zwar kann man Wachstum nicht auf Null senken, weil ohne Gewinn niemand investiert. Denn jede Investition ist mit einem Risiko behaftet, für das es ein Entgelt geben muss. Doch 1,8% Wachstum würden reichen, langfristig auch weniger, um Umwelt und Ressourcen zu schonen, hat Prof. Hans Christoph Binswanger, „Erfinder“ der Ökosteuer und Buchautor „Die Wachstumsspirale“, errechnet. Auch ist eine Übereinstimmung der Produktion und des Konsumverhaltens mit der ökologischen Notwendigkeit erforderlich. Insoweit enthalten teilweise die Konjunkturprogramme der Regierung mit ihren Geldern für Investitionen in Umweltschutz, Energiesparprogramme und Gebäudesanierung, öffentlichen Nahverkehr oder Bildungseinrichtungen immerhin eine sinnvolle Umsteuerung im Sinne der Nachhaltigkeit. Denn Energie, Trinkwasser und Rohstoffe bleiben knapp.

Für die Zukunft brauchen wir den besten ökonomischen und sozialen Sachverstand für den Entwurf eines funktionierenden Wirtschaftsmodells mit Realitätssinn, bei dem der verantwortlich handelnde Mensch als Wirtschaftsakteur nicht länger ausgeklammert oder auf seine bloße Konsumentenfunktion reduziert wird. Und wir müssen begreifen, dass exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt nicht endlos weitergehen kann, denn nur immaterielles Wachstum geht immer weiter: Wir können uns unendlich fortbilden und geistig weiterentwickeln, solange wir uns wirtschaftlich vernünftig verhalten, ohne die Lebensgrundlagen und die aufeinander angewiesene Menschengemeinschaft aus materialistischer oder egoistischer Gesinnung zu zerstören.

*) Bernward Janzing in der taz vom 29./30. November 2008
**) Harald Spehl „Was ist nachhaltige Entwicklung?“, in Rundbrief Dreigliederung „Sozialimpulse“ Nr. 4/2008
***) Klaus Fietzek, in der taz vom 3. 12. 2008

 

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