01 Mrz 2019

Das „Sozialstaatskonzept 2025“ der SPD

von Redaktion

Gastkommentar von Herbert Bludau-Hoffmann

 

Sozialstaatsdebatte: Soziale Gerechtigkeit ohne Steuergerechtigkeit?

Sozialstaatskonzept 2025 der SPD Konzept gegen Abstiegsängste oder Wahlkampfmanöver?

 

Das von der SPD vorgelegte Sozialstaatskonzept 2025 (1) stellt den Versuch dar, eine sozialdemokratische Agenda wieder stärker sichtbar zu machen.

Dieses SPD-Papier grenzt sich deutlich ab von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie es von Teilen der Grünen, aber auch der Linkspartei vertreten wird. Vielmehr legt das Papier seinen Schwerpunkt auf die Beschäftigten und ihre Arbeit und dabei insbesondere die untere Mittelschicht und die dort vorhandenen Abstiegsängste.(2)

Mit dem Hinweis auf das Recht auf Arbeit und Teilhabe werden als Ziele die Einkommenssicherheit der Beschäftigten über die gesamte Erwerbsbiographie und die Rechtsansprüche der Bürger an den Sozialstaat herausgestellt. Damit sollen einerseits die Lebensleistungen der Beschäftigten anerkannt und vorhandenen Abstiegsängsten entgegengewirkt werden.

Neben einer neuen Grundsicherung für Kinder geht es in dem Sozialstaatskonzept der SPD im Wesentlichen um drei Punkte: erstens die Stärkung des Wertes der Arbeit, zweitens die Neuausrichtung in der Arbeitslosenversicherung und drittens schließlich die Einführung eines Bürgergeldes als soziale Grundsicherung.

  1. Um den Wert der Arbeit zu stärken und eine höhere Tarifbindung zu erreichen, schlägt die SPD vor, den Mindestlohn perspektivisch auf 12 Euro anzuheben und den (von ihr selbst herbeigeführten) Niedriglohnsektor wieder einzudämmen. Aufgezählt werden eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung des Wertes von Arbeit: Schaffung eines Tariftreuegesetzes, steuerliche Besserstellung für tarifgebundene Unternehmen, die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, Stärkung der Mitbestimmung, die Absicherung neuer Arbeitsformen und mehr Zeitsouveränität der Arbeitnehmer. Darüber hinaus sollen ein Recht auf Heimarbeit und Nicht-Erreichbarkeit von Arbeitnehmern zu bestimmten Zeiten angestrebt werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht werden diese Ziele sicherlich breite Unterstützung erfahren. Es wird aber im Zusammenhang mit dem Wert der Arbeit nichts zur weiteren Einschränkung sachgrundloser Befristungen und bei Befristungen mit Sachgrund in Arbeitsverträgen und zur Eindämmung der Nutzung von Leiharbeit und Werkverträgen gesagt.
  1. Ein Kernthema der neuen Sozialstaatskonzeption der SPD ist die sog. „Solidarische Arbeitsversicherung“. Ziel ist, die Qualifizierung der Beschäftigten in Zeiten der Digitalisierung zu unterstützen und die Lebensleistung der Arbeitnehmer besser anzuerkennen. Mit Solidarischer Arbeitsversicherung ist auf der einen Seite die Verlängerung des i.d.R. einjährig gezahlten Arbeitslosengeldes I durch die Einführung eines Leistungsanspruches auf Qualifizierung als Arbeitslosengeld Q gemeint. Auf der anderen Seite beinhaltet das Konzept der Arbeitsversicherung die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I in Abhängigkeit von der Dauer der Entrichtung von Beiträgen in diese Arbeitsversicherung. Insgesamt kann damit je nach Einzelfall – unter Anrechnung des Arbeitslosengeldes Q – eine maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 36 Monaten, also von drei Jahren erreicht werden.
  1. In der Sozialstaatskonzeption der SPD wird im Anschluß an das Arbeitslosengeld I ein Bürgergeld als Grundsicherung und Unterstützung bei längerer Arbeitslosigkeit vorgeschlagen. Dieses Bürgergeld würde wohl das Arbeitslosengeld II ersetzen und teilweise die Hartz-IV-Regularien verändern. Dabei soll die bisherige Lebensleistung durch Verzicht auf die Überprüfung von Vermögen und Wohnungsgröße für 2 Jahre besser anerkannt werden für diejenigen, die vorher auch Arbeitslosengeld I bezogen haben. Dem SPD-Papier zufolge wird es bei der Mitwirkungspflicht der Betroffenen bleiben, jetzt unterstützt mit Hilfen und Anreizen, die allerdings nicht spezifiziert worden sind. Sinnwidrige und unwürdige Hartz-IV-Sanktionen sollen abgeschafft werden. Es bleibt in dem SPD-Papier leider offen, was dann sinnvolle und würdige Sanktionen sein können und ob bzw. wie das grundgesetzlich geschützte Existenzminimum gesichert bleiben wird.

Zusammenfassend ist in dem Sozialstaatskonzept der SPD sicherlich hinsichtlich der Arbeitsversicherung positiv zu bewerten, dass Beschäftigte, die sich in Zeiten fortschreitender Digitalisierung weiterqualifizieren, und langjährig Beschäftigte über einen längeren Zeitraum abgesichert werden sollen. Das ist ein wesentlicher Fortschritt und wird einen Teil der in den letzten Jahren entstandenen Ängste der Arbeitnehmer nehmen können. Ängste, die durch die heute noch existierende Drohkulisse für die Arbeitnehmer hervorgerufen werden, im Falle von Arbeitslosigkeit vielfach bereits nach einem Jahr den würdelosen Hartz-IV-Regularien unterworfen zu sein.

Zu der Gesamtbewertung der Sozialstaatskonzeption gehört allerdings auch Kritik an der Ausgestaltung des geplanten Bürgergeldes. Mit dem Bürgergeld bleiben die Hartz-IV-Sätze auf dem bisherigen unzureichenden Niveau erhalten. Auf eine Überprüfung des Vermögens und der Wohnungsgröße soll nur für diejenigen verzichtet werden, die zuvor Anwartschaften aus der Arbeitsversicherung erworben und damit Arbeitslosengeld I bezogen haben.

Das Bürgergeld erreicht damit nicht das Niveau einer den Lebensstandard sichernden Lohnersatzleistung in Form der früheren Arbeitslosenhilfe. Deutliche Kritik gibt es deshalb auch im Zusammenhang mit dem neuen Bürgergeld hinsichtlich der Armutsfestigkeit, der Bedarfsdeckung und der Repressionsfreiheit, die man von einer sozialen Grundsicherung erwarten können sollte. (3)

Schon jetzt ist absehbar, dass die Sozialstaatskonzeption der SPD in der Großen Koalition nicht zu realisieren sein wird. Das SPD-Papier ist aber sicherlich als ein überfälliger Beitrag zur Neuausrichtung der SPD für kommende Wahlkämpfe und als ein Einstieg in eine neue sozialdemokratische Agenda zu bewerten.

Gleichwohl ist zu fragen, wie eine solche neue Sozialstaatskonzeption und andere notwendige sozialdemokratische Neuausrichtungen der Politik, wie die Grundrente für Geringverdiener gerecht finanziert werden können. Eine solche Konzeption wird umso glaubwürdiger daherkommen, je stärker auch die SPD eine gerechtere Steuerpolitik zum Programm erhebt und damit eine neue sozialdemokratische Reformpolitik auf eine gesicherte Finanzierungsbasis stellt.

Notwendig sind eine Vermögensbesteuerung und eine Finanztransaktionssteuer. Es darf keine Steuererleichterung für Spitzenverdiener durch Abschaffung des Soli geben und es bedarf der dringenden Schließung von bisher entstandenen und geduldeten Steueroasen in Europa und anderswo. Andernfalls würde das neue Sozialstaatskonzept und die Grundrente für Geringverdiener nicht nur Finanzierungsfragen aufwerfen, sondern auch die Hoffnungen vieler Menschen nach mehr sozialer Gerechtigkeit enttäuschen. (4)

 

Fußnoten:

(1) vgl. https://www.spd/aktuelles/ein-neuer-sozialstaat-fuer-eine-neue-Zeit/

(2) vgl. Cornelia Koppetsch „Der Blick nach unten“ in: Der Freitag vom 20.12.2018

(3) vgl. Peter Bofinger „Der extreme Trend zum Neoliberalismus wurde unter Merkel gestoppt“ in: taz vom 23./24.02.2019

vgl. Christoph Butterwegge „Die SPD ist auf halbem Wege stehen geblieben“ in: Deutschlandfunk vom 11.02.2019;

vgl. Ulrich Schulte „Nahles will Hartz IV in Bürgergeld verwandeln“ in: taz vom 07.02.2019

(4) vgl. Ulrich Schulte „Rot-Grün in Angststarre“ in: taz vom 25.02.2019

 

 

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