CETA und die roten Linien der SPD
von Eberhard Waiz
Übersicht
- Vorgeschichte und Verhandlungsprozess
- Gemeinwohlorientierte Gesetzgebung
- Daseinsvorsorge
- Investitionsschutz
- Gestaltung der Globalisierung
- Ergebnis
Etappen europäisch-kanadischer Wirtschafts- und Handelskooperation
- 1976 Rahmenabkommen über handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen EU und Kanada mit Gemeinsamen Arbeitsausschuss
- 2004 Verhandlungen zum Trade and Investment Enhancement Agreement(TIEA)
- 2008 gemeinsame Studie von EU und Kanada, „Kosten/Nutzen Bewertung einer engeren wirtschaftlichen Partnerschaft zwischen der EU und Kanada“
- 2,2 Prozent und 3,5 Prozent Durchschnittszölle 2007 in Europa und Kanada
- 0,08 Prozent und 0,77 Prozent des BSP jährlicher Einkommenszuwachs.
Chronologie der CETA-Verhandlungen
- 2009 Verhandlungsbeginn
- 2014 Abschluss. Unautorisierte Veröffentlichung durch die Tagesschau
- Februar 2016 Ende der Rechtsförmlichkeitsprüfung
- 8. Juli Beschlussentwürfe des Rates mit deutscher Übersetzung
- Gemischtes Abkommen
- Vorläufige Anwendung
- CETA Abkommen neuer Art: Negativlisten, Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit, regulatorische Kooperation, Nachhaltigkeitskapitel
Rote Linie: Keine Erschwernis der Gesetzgebung für eine gemeinwohlorientierte Regulierung
Nicht erfüllt:
- Regulatorische Kooperation im Gesetzgebungsvorbereitungsprozess
- Einfache Zertifizierungs- und Qualifikationsverfahren
- Antizipation möglicher Investitionsschutzklagen und –urteile
- Exekutivstruktur mit Gemischtem CETA-Ausschuss und Sonderausschüssen
Exekutivstruktur
Art. 30.2 Abs. 2
„Ungeachtet des Absatzes 1 kann der Gemischte CETA-Ausschuss beschließen, die Protokolle und Anhänge dieses Abkommen (mit Ausnahmen) zu ändern. Die Vertragsparteien können den Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses im Einklang mit ihren zum Inkrafttreten der Änderung erforderlichen internen Anforderungen und Verfahren billigen. …“
Art 218 Abs. 7 AEUV
„Abweichend von den Absätzen 5, 6 und 9 kann der Rat den Verhandlungsführer bei Abschluss einer Übereinkunft ermächtigen, im Namen der Union Änderungen der Übereinkunft zu billigen, wenn die Übereinkunft vorsieht, dass diese Änderungen im Wege eines vereinfachten Verfahrens oder durch ein durch die Übereinkunft eingesetztes Gremium anzunehmen sind. Der Rat kann diese Ermächtigung gegebenenfalls mit besonderen Bedingungen verbinden.“
Rote Linie: Keine Übernahme von Verpflichtungen bei der Daseinsvorsorge in Deutschland
Nicht erfüllt:
- Keine Bereichsausnahme, Formulierungsvorschläge und alternative Ansätze (Golden-Standard-Klausel) liegen aber vor
- Stattdessen: Ausnahmeklauseln in den Vertragskapiteln und im Anhang I und Anhang II mit Negativlistenansatz
- Folge: Unübersichtlichkeit, Komplexität, Rechtsunsicherheit
Ein österreichisches Autorenteam (Madner u. a. ) hat dazu festgestellt:
- „Im Einzelnen spielen hier Ausnahmeklauseln in den verschiedenen Vertragskapiteln mit den Vorbehalten der EU bzw. der Mitgliedstaaten sowie den Rechtfertigungsbestimmungen des Abkommens zusammen. Das führt dazu, dass sich die Bedeutung einzelner Bestimmungen überhaupt erst aus der Zusammenschau einer Reihe von Kapiteln und Annexen erschließt. Zum Teil werden zudem Bestimmungen aus dem WTO-Abkommen in das CETA inkorperiert, wodurch die Komplexität abermals steigt und sich zusätzliche schwierige Rechtsfragen stellen.“
Was ist nun ausgenommen:
- Keine Antwort der Bundesregierung in Kleinen Anfragen, Verweis auf die Anhänge
- Liste der Lücken des Kölner Netzwerkes der Daseinsvorsorge
Rote Linie: Vorzug einer Positivliste vor einer Negativliste
Nicht erfüllt:
- Negativliste und keine Positivliste vorgesehen
- Entgegen der Auffassung der Bundesregierung: Keine Gleichwertigkeit von Negativ- und Positivlisten
Rote Linie: Keine Beeinträchtigung von bisherigen EU-Vereinbarungen zum Schutz öffentlicher Dienstleistungen
Nicht erfüllt:
- Falsche Messlatte: Festschreibung des unbefriedigenden Status Quo im Europäischen Binnenmarkt
- (Unzureichende) Verbesserungen mit Vergaberichtlinie 2014
- CETA dazu allgemein und auslegungsfähig
- Probleme insbesondere bei interkommunaler Kooperation zu erwarten
Rote Linie: Garantie eines umfassenden Gestaltungsspielraums für die Ausgestaltung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
Nicht erfüllt:
- Bereits massive Einengung durch Europäischen Binnenmarkt
- Lücken, Rechtsunsicherheit, mangelnde Zukunftsfestigkeit des Vertrages engen kommunalen Handlungsspielraum ein
Rote Linie: Recht der Mitgliedstaaten, die öffentliche Kultur- und Medienförderung vollständig zu erhalten
Nicht erfüllt:
- Keine Bereichsausnahme für die Kulturwirtschaft vorgesehen
- Lückenhafte und rechtsunsichere Vorbehalte
- Keine deutliche EU- und Deutschland-Ausnahme bei Unterhaltungsdienstleistungen
- Bedeutung der Kultur in der Präambel ohne Entsprechung im Vertragstext
- Audiovisuelle Dienste: Nur Erstellung, nicht Verbreitung
Rote Linie: Kein direkter oder indirekter Zwang zur weiteren Liberalisierung und Privatisierung Keine Priorisierung privat vor öffentlich
Nicht erfüllt:
- Bei Lücken kein Schutz vor Marktöffnungen
- Richterliche Auslegungen bei unklaren Rechtsbegriffen können zu Marktöffnungen führen
Rote Linie: Zukünftige Gewährung des Gestaltungsspielraums
Nicht erfüllt:
- Massive Veränderungen in der Daseinsvorsorge durch Bedeutungszuwachs von intelligenten Netzen (Smart Grids)
- Dynamischen Entwicklungen nicht ausreichend Rechnung getragen. Kann zu Marktöffnungen führen
Rote Linie: Voller Erhalt der Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die Organisation der Daseinsvorsorge
Nicht erfüllt.
- Negative Auswirkungen insbesondere auf die interkommunale Zusammenarbeit zu erwarten
Rote Linie: Erhalt der hohen Qualität der Daseinsvorsorge in der EU
Kaum zu beurteilen:
- Wie wirken sich Rechtsunsicherheit, Lücken und mangelnde Zukunftsfestigkeit, Schwächung der lokalen Demokratie und des kommunalen Handlungsspielraums in CETA auf die Qualität aus?
- Defensives Ziel. Unterstellt keinen Verbesserungsbedarf in der EU
Rote Linie: Keine Infragestellung von sozialen und ökologischen Kriterien bei der öffentlichen Vergabe
Nicht erfüllt:
- Soziale und ökologische Vergabe im CETA im Vergleich zum EU-Vergaberecht nur kursorisch geregelt
- Probleme insbesondere beim grenzüberschreitenden Warenhandel
Auswirkungen auf die lokale Demokratie
Leider keine rote Linie:
- Komplexitätszuwachs und Rechtsunsicherheit stärken die Verwaltung und schwächen den Rat
- Erfordernis externer Rechtsberatung mit ähnlichen Wirkungen
- Vorschriften zur kommunalen Selbstverwaltung im Vertrag von Lissabon wenig beachtet
- Bei Aushandlung internationaler Freihandelsverträge Funktionserfordernisse kommunaler Demokratie ohne Bedeutung
Auswirkungen auf das Bildungssystem
Leider keine rote Linie:
- Bildung zwar ausgenommen, aber mit hoher Unsicherheit behaftet
Rote Linie: Ein öffentlich-rechtlicher Mechanismus anstatt privater Schiedsgerichte, von Vertragsparteien ausgewählte Richter
Nicht oder nur formal erfüllt:
- Zwar Neuerungen und Fortschritte bei der Gestaltung der Gerichte
- Funktionsweise und Anreizstrukturen ähnlich bisheriger Schiedsgerichte
- Derselbe Personenkreis, möglicherweise sogar dieselben Personen
Rote Linie: Von Vertragsparteien ausgewählte Richter
Nur formal erfüllt:
Art. 8.27 Abs. 4
„Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikationen besitzen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein. Sie müssen nachweislich über Fachwissen auf dem Gebiet des Völkerrechts verfügen. Insbesondere sollten sie über Fachwissen auf den Gebieten internationales Investitionsrecht, internationales Handelsrecht und Streitbeilegung im Rahmen internationaler Investitions- oder Handelsabkommen verfügen“
Besoldung der Richter
Art. 8.27 Abs. 12
„Zur Gewährleistung ihrer Verfügbarkeit wird den Mitgliedern des Gerichts eine monatliche Grundvergütung gezahlt, deren Höhe vom Gemischten CETA – Ausschuss festgesetzt wird“
Art. 8.27 Abs. 15
„Der Gemischte CETA – Ausschuss kann im Wege eines Beschlusses die Grundvergütung und sonstige Vergütungen und Auslagen in ein reguläres Gehalt umwandeln und die jeweiligen Modalitäten und Bedingungen festlegen“
Art. 8.27 Abs. 14
„Sofern der Gemischte CETA – Ausschuss keinen Beschluss nach Absatz 15 fasst, fallen über die in Absatz 12 genannten Kosten hinaus für Vergütungen und Auslagen der Gerichtsmitglieder, die in eine mit einem Fall zu befassende Kammer berufen werden, Kosten in einer Höhe an, die nach Vorschrift 14 Absatz 1 der Verwaltungs- und Finanzordnung des ICSID – Übereinkommens in der zum Zeitpunkt der Klageeinreichung geltenden Fassung festgesetzt…“
Rote Linie: Investitionsschutzregeln sollen nach rechtstaatlichen Prinzipien ausgestaltet werden
Nicht erfüllt:
- Die Investitionsschutzregeln entsprechen nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, da sie noch immer zu unbestimmt sind
Rote Linie: Präzise formulierte Rechtsbegriffe, kein weiter Interpretationsspielraum
Nicht erfüllt:
- Die Anspruchsgrundlagen „Faire und gerechte Behandlung“ und die „Indirekte Enteignung“ sind noch immer zu weit und zu unbestimmt gefasst
Rote Linie: Echter internationaler Handelsgerichtshof
Nur formal erfüllt:
- Weiter Sonderrechte für ausländische Investoren
- Diskriminierung inländischer Investoren
- Problematische Anspruchsgrundlagen
- Keine Einklagbarkeit von Umwelt- und sozialen Rechten
Rote Linie: Berufungsinstanz
Nur formal erfüllt:
- Ähnliche Bedenken wie beim bilateralen Investitionsgericht
- Richterbesoldung offen. Entscheidung des Gemischten CETA-Ausschusses. Wir kaufen die Katze im Sack
- Große Machfülle. Fehlentwicklungen nicht rückholbar
Rote Linie: Kein grundsätzliches Erfordernis von Investitionsvorschriften zwischen EU und USA (hier Kanada)
Nicht erfüllt:
- Zwischen funktionierenden rechtsstaatlichen Systemen kein Investitionsschutz erforderlich
Rote Linie: Öffentliche und transparente Verfahren
Erfüllt
Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung
- Trotz Nachhaltigkeitskapitel kein Beitrag zu fairen und nachhaltigen Handelsregeln. Handelsvorteile höher gewichtet als Umwelt und Arbeit
- CETA ohne globale Gestaltungskraft
- Gefahr falscher Illusionen der internationalen Durchsetzung. Die Kröte aber bleibt
Ergebnis
- Trotz der Nachbesserungen genügt CETA nicht den Roten Linien, die der Parteikonvent 2014 und der Bun-desparteitag 2015 aufgestellt haben
- CETA ist abzulehnen
- Auch wenn der Bundesvorstand und SPD-MdEP Bernd Lange zu anderen Ergebnissen kommen
Eberhard Waiz ist Jurist und Mitglied des Landesvorstandes der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen NRW, Er war, bis zu seiner Pensionierung 2013, jahrelang in der Abteilung Europa, Internationale Angelegenheiten und Medien der Staatskanzlei NRW mit Europapolitik befasst. Er lebt in Ratingen.