14 Mrz 2016

Barack Obamas Präsidentschaft

von Pan Pawlakudis

 

Etappen und kritische Einschätzungen eines internationalen Hoffnungsträgers

Vortrag vom 14.03.2016, im Bert-Brecht-Bildungszentrum Oberhausen

 

Versprochen – Gehalten – Gebrochen!

Terror, Krieg, Wirtschafts- und Finanzkrise! Das ist die US-Sachlage 2009. Auf „Hope and Change“ stützte sich der Wahlkampf Barak Obamas! „Ich lege meinen Eid unter sich auftürmenden Wolken und tobenden Stürmen ab“, sagte Obama damals und zog ins Weiße Haus.

Obama vermittelte den Dichter und Poeten. Sein „Yes, we can!“ klang gar überhaupt nicht lächerlich: „Wir können das Land versöhnen, wir können den Planeten heilen“. Die größte Hoffnung, die Amerika mit der Wahl Obamas verband, wird nicht weniger, als mit einer neuen Qualität der Kriegsführung verbunden werden müssen: Dem Drohnenkrieg eines Friedensnobelpreisträgers! Barack Obama hat letztlich so regiert, wie es der Korporatismus vorsieht. Er bediente, wie alle seine Vorgänger seit Ronald Reagan, dem militärisch-industriellen amerikanischen Wallstreet Establishment!

Ein rascher Blick auf seine Bilanz:

 

Rückzug aus Irak und Afghanistan, Tod Bin-Ladens und Guantanamo

Gehalten (Irak) und gebrochen (Afghanistan). Taliban und IS zwingt zur Neuauflage des Bush-Kurses. Gebrochen (Guantanamo): Erbitterter Widerstand auch von Seiten einiger Demokraten.

 

Gesundheitsreform

Gehalten, jedoch nicht voll umfänglich und ohne Antastung wichtiger Elemente. Obama hat geschafft, was keinem Präsidenten vergönnt war: die Durchsetzung einer verpflichtenden Krankenversicherung für alle Amerikaner. Doch gleichzeitig hat er mit dieser Jahrhundertreform das Land weiter gespalten. Eine knappe Mehrheit der US-Bürger ist gegen das 2000-Seiten-Gesetz. „Obamacare“ – lässt die astronomisch hohen Kosten der Gesundheitsversorgung unangetastet und die Versicherungsmonopole der Konzerne behalten das US-Gesundheitssystem fest im Griff. Obama hat mehrmals – zuletzt in der ersten TV-Debatte mit Konkurrent Mitt Romney – deutlich gemacht, dass er den zerstörerischen Angriffen auf das Rentensystem und die Gesundheitsversorgung für Alte nichts entgegensetzen wird.

Obama setzt sich im Juni 2012 durch und der Oberste Gerichtshof segnet Teile des umstrittenen Gesetzeswerkes im Kern ab, das ab 2014 in Kraft treten soll . Nur in einem Punkt beschnitt das höchste Gericht die Reform: Es gab den Bundesstaaten die Option, die Ausweitung der Krankenversicherung für Arme aus Kostengründen abzulehnen.

 

Verschärfung der Waffengesetze

Noch gebrochen: Vize Joe Biden hat aus den bestehenden Gesetzen herausgeholt, was möglich war. Mehr könnte auch kein künftiger Demokrat im Weißen Haus erreichen. Ein Republikaner dagegen würde höchstwahrscheinlich das Thema ohnehin fallen lassen. Da sind sich die konservativen Kandidaten z. Zt. einig. Einzig mit einer Präsidialen Anordnung könnte sich Obama durchsetzen; auch gegen Gegner in den eigenen Reihen!

 

Krisen- und Kriegspolitik

Zum Teil erfolgreich: Diplomatische Verhandlungen sind seine Art, internationale Probleme zu lösen. Das kann man auch aus seiner Grundsatzrede vor den Vereinten Nationen im September 2013 herauslesen. Die „Obama-Doktrin“ legt die Vereinigten Staaten auf eine Rolle als ein Staat unter vielen fest – eine Abkehr vom Weltpolizisten Amerika. In geheimen Verhandlungen hat der US-Präsident so die Beziehungen zu Kuba wiederhergestellt. Auch die Übereinkunft mit dem Regime in Teheran ist Ergebnis eines langen, geduldigen Prozesses. Sobald aber der Krieg den Alltag bestimmt, versagt der US-Präsident.

Im kommenden Jahr schon, noch vor dem Amtsantritt eines neuen Präsidenten, sollte der Abzug der US-Soldaten auch aus Afghanistan perfekt sein. Aber selbst dieser schon fast vollzogene Abzug ist jetzt ins Stocken geraten. In Syrien hat Obama lange gezögert. Noch als Außenministerin hatte Hillary Clinton den Präsidenten gedrängt, die syrische Opposition nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen zu unterstützen. Viel zu spät hat er sich dazu durchgerungen, erst, als es mit dem IS längst eine zweite Front gab. Legendär ist die rote Linie, die Obama Assad zog und von ihm ohne Zögern überschritten wurde. Obama hinterlässt eine Welt, die sich seiner außenpolitischen Vision nicht fügen wollte.

 

Klima-Politik 

Hier fällt die Bilanz gemischt aus. Ein großes Klimagesetz blockiert der Kongress. Der Präsident nutzt deshalb Exekutivanordnungen, wie er sich dergleichen auch in der Waffenproblematik vorstellen könnte. Die von ihm eingesetzte Chefin der Umweltbehörde, Gina McCarthy, hat nicht nur gerade den deutschen VW-Konzern als millionenfachen Umweltbetrüger entlarvt. Mit Abgasgrenzen bremst sie auch die Karbonisierung durch amerikanische Firmen. Und Obama hat mit beharrlichen Verhandlungen China auf striktere Klimaziele verpflichtet.

 

Außenpolitik

Die außenpolitische Bilanz von Barack Obama ist in großen Teilen zwar schlecht. Aber weder den Iran-Deal noch die Öffnung zu Kuba würde ein republikanischer Kandidat ungeschehen machen können. Allein der Umstand, dass Obama als erster Afroamerikaner Präsident der Vereinigten Staaten wurde, sichert ihm einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern.

Obwohl Barak Obama kein schwarzer Präsident sein wollte, hat er Amerika doch in der Frage der Gleichberechtigung am nachhaltigsten verändert. Er hat dazu beigetragen, dass die Homo-Ehe eingeführt wurde, im Rahmen seiner exekutiven Befugnisse die gleiche Bezahlung von Frauen vorangebracht und mit seiner Initiative „My brother’s keeper“, dazu beigetragen, dass junge farbige Männer vor einem Abgleiten in Armut und Kriminalität geschützt werden sollen und zwar dauerhaft. Und angesichts der toten Schwarzen von Ferguson bis Charleston hat er sich auch in der Rassismus-Debatte nicht mehr zurückgehalten. „Ich bin sehr stolz“, sagte Obama in einem Interview, „dass meine Präsidentschaft helfen kann, Amerika gegen rassistische Ungerechtigkeit zu mobilisieren.“ Obama hat mit allen diesen Initiativen die Gesellschaft verändert. Die Unterstützung für radikale Kandidaten wie Donald Trump bei den Republikanern zeigt nicht nur, wie viele Menschen in den USA so denken. Sie legt auch offen, wie sehr sich diese weiße Minderheit durch den gesellschaftlichen Wandel unter Obama bedroht sieht. Mit großen Worten war Barack Obama 2008 angetreten. Er versprach Amerika Aufbruch und Wandel. Sieben Jahre später schätzen nur noch 46 Prozent der Amerikaner ihren Präsidenten. Er hat sie enttäuscht. „Eines der am wenigsten kontroversen Dinge, die man über Barack Obama sagen kann, ist, dass er besser Wahlkampf geführt als regiert hat“, sagt der Yale-Professor und Obama-Kritiker David Bromwich.

Doch es gibt auch andere Meinungen. Der Historiker Robert Dallek stellt Obama in die progressive Tradition von Theodore Roosevelt und Lyndon B. Johnson. „Das“, so Dallek, „ist eine Bilanz, auf die jeder Präsident stolz sein könnte.“

Zitat des US-Publizisten Sam Tanenhaus:
„Klar: In Amerika – und nicht nur dort – herrscht längst Anti-Obama-Stimmung: Weitgehend unerfüllte Wahlversprechen, der Pyrrhussieg der Krankenversicherung, eiskalte Drohnenkriege, die vermasselte Guantanamo-Schließung, der NSA-Skandal… Haben wir etwas vergessen? Wahrscheinlich ja. Und obwohl sich die Liste zweifellos fortsetzen ließe, erkenne ich  in Obama den „effektivsten Staatsmann der amerikanischen Zeitgeschichte“  – und zwar ohne einen Hauch von Ironie. Auch die Versprechungen von Kennedy und Reagan blieben unverwirklicht, was sie bekanntlich nicht daran gehindert habe, mit der Zeit „mythische Bedeutung“ zu erlangen. Mag sein. Doch auch die kritischsten Kritiker werden eingestehen, dass bei Obama nicht alles Scheitern war. Obama hat zumindest einige seiner hochgesteckten Ziele  erreicht. Obwohl seine Wirtschaftspolitik gerne heruntergemacht wird, fiel die Arbeitslosigkeit gerade das erste Mal seit Juli 2008 immerhin um 6 Prozent. Sicher, der Wahlkampf-Slogan von 2004 „Hope and change“ stand für Obamas Einzigartigkeit und vereinte dabei gleich zwei Ideale, an deren Erreichen sich der Präsident nun messen lassen muss: Das Ende politischer Grabenkämpfe und die schrittweise Verarbeitung Amerikas rassistischer Vergangenheit. Wie das ausging, ist seit den jüngsten Unruhen hinlänglich bekannt. Niemand hat je daran geglaubt, dass Obama den Rassenkonflikt lösen könnte. Obamas Errungenschaft besteht darin, die Idee eines nicht-kaukasischen Präsidenten normalisiert zu haben. Amerika ist zu einem anderen Ort geworden und für Millionen von Bürgern zu einem toleranteren. Auch hier: Immerhin! Doch zu fragen wäre dabei: Was ist Wirkung und was Ursache?

Eine Bilanz der Präsidentschaft Obamas muss – so sie denn fair sein will – überzogene Erwartungen in Rechnung stellen. Das Ideal vom Präsidenten als kultureller Held und als politischer Führer führt zu der Annahme, dass eine einzelne Person die Nation neu erfinden kann. Selbst wenn das nicht vollends gelungen ist, ist Obama diesem Ziel so nahegekommen, wie sonst niemand in der Moderne. Immerhin! 

Dagegen hält Jeffrey Goldberg im „The Atlantic“ die Außenpolitik Obamas bspw. für gescheitert, sei doch eine typisch amerikanische klare außenpolitische Linie nicht erkennbar! Libyen, gegen dessen Diktator Gaddafi Obama nicht intervenieren wollte, sich aber schließlich von innenpolitischen Einflüsterern und außenpolitischen Verbündeten drängen ließ, beschreibt er heute öffentlich als „Chaos“ bzw. als „Shit Show“. Dasselbe in der Syrien-Politik: Obama legte „rote Linien“ fest und als sie über-schritten wurden machte er einen Militäreinsatz von der Zustimmung des republikanisch dominierten Kongresses abhängig und ließ zudem zu, dass sich Putin als rettender Unterhändler positionierte! Und schlussendlich der Iran-Deal, der die amerikanisch-israelischen Beziehungen verkompliziert!

 

Fazit

Nach 150 Jahren werden quer durch den Süden die Konföderiertenflaggen eingeholt. Gleichgeschlechtliche Paare haben das Recht auf Ehe! Das Land ist zum Motor eines globalen Klimaschutzabkommens geworden. 16 Millionen Neuversicherte haben eine Gesundheitspolice. Die Wirtschaft brummt, das Defizit sinkt, die konservative Agenda wirkt überholt! „Obamas Präsidentschaft ist wiedergeboren“, jubelt das Fachblatt Politico und CNN: „Die Woche, die die Nation veränderte.“ Auch die Washington Post staunt: „Der Wandel wartet nicht mehr.“

Change, Wandel – das Wort, das 2008 die Welt verzauberte, ist wieder in aller Munde. Oft ist dieser Präsident politisch für tot erklärt worden, zuletzt, nachdem seine Demokraten im Herbst auch die zweite Kongresskammer verloren. Doch ausgerechnet im letzten Viertel seiner Ära, in dem der Präsident als „lahme Ente“ verspottet wurde, hat Obama die Beziehungen zu Kuba normalisiert, undokumentierten Einwanderern eine Perspektive eröffnet, ein Klimaabkommen mit China erzielt. Ein Atomdeal mit dem Iran krönte die außenpolitische Bilanz.

Tatsächlich war die Bilanz schon vor 2015 nicht schlecht. Die Kriege im Irak und Afghanistan sind faktisch beendet, Osama bin Laden ist tot. Das 800-Milliarden-Dollar-Programm gegen die Wirtschaftskrise hat gewirkt; die Kredite für die Autoindustrie haben dem Staatshaushalt Gewinne beschert. Im Magazin Forbes wurde Obamas Wirtschaftspolitik zur erfolgreichsten aller modernen US-Präsidenten gekürt. Der Kampf gegen Altlasten hat aber Schwung gekostet. Mit dem versprochenen Gesellschaftsumbau lasse der Präsident sich Zeit, höhnten Gegner schon früh, ganz zu schweigen von der Versöhnung des Landes.

In Wirklichkeit hing beides zusammen. Obama ist mangelndes Rückgrat genauso vorgeworfen worden wie ideologischer Starrsinn. Die Mittel, mit denen er neuerdings durchregiert, hätten ihm seit Jahren zur Verfügung gestanden. Allerdings hat er der Hoffnung auf Konsens mehr Chancen eingeräumt als die meisten seiner Vorgänger – nicht nur in den versuchten Neustarts mit der muslimischen Welt, Russland oder dem Iran. Top-Positionen im Kabinett wurden mit Republikanern besetzt; selbst die Struktur der Gesundheitsreform war ein Entgegenkommen an die Konservativen.

Obama selbst hat seinen Job mit dem mittleren Management verglichen. Dass ihm anfänglich Erfahrung fehlte, trifft es schon eher. Doch Obama hat mehr erfahrene Kräfte engagiert, als man hätte erwarten können. Er war entschlossen, sich nicht aus der Spur bringen zu lassen – nicht von Pleiten, nicht von Triumphen und am wenigsten von Angriffen auf seine Person. Schon in der Finanzkrise wurde die eiserne Konzentrationsfähigkeit von Obama erkennbar. Den chaotischen Start der Gesundheitsreform bügelte er mit Fassung aus; Korrekturen erfolgten geräuschlos. Heute erntet der Präsident die Früchte.

Sein kontrolliertes Auftreten hat Obama nicht nur Vorteile eingebracht. Auf Durststrecken wurde es als Teilnahmslosigkeit gedeutet, Als Ausdruck einer Arroganz, mit der er lieber golfen ging, als sich im Politikalltag schmutzig zu machen. Ein US-Präsident ist halt fast immer mit Krisen beschäftigt. Seine Zurückhaltung führt nicht nur dazu, dass er 2012 beinahe vergaß seine Kontrahenten anzugreifen: Er verzichtete auch darauf seine Erfolge zu erklären. Seine Reden waren auf Sachfragen fokussiert und je mühsamer der Kampf darum wurde, desto mehr vermissten seine Anhänger die kühne Vision. Konservative Kritiker begannen vom Absturz zu reden; nicht immer mit lauteren Mitteln, aber konsequent.

Heute noch zitieren auch seriöse Medien eine Umfrage, derzufolge Amerikaner den einstigen Hoffnungsträger vor einem Jahr zum schlechtesten Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg herabstuften. Das klingt spektakulär, so lang man nicht weiß, dass fast jeder Vorgänger der schlechteste war, seit Meinungsforscher die Frage stellen.

Als einer von wenigen hat der 44. US-Präsident sich weder politisch noch privat Skandale geleistet. Seine derzeitigen Umfragewerte liegen über dem Schnitt seiner Vorgänger. Neben der Amtsführung punktet er besonders in den Bereichen Glaubwürdigkeit und Empathie. Tatsächlich verkörpert er fast alles, was Kommentatoren von Politikern fordern. Das bietet allerdings kaum noch Angriffsflächen für eine Zunft, die davon lebt, über andere zu urteilen. Vielleicht reagieren manche deshalb geradezu gekränkt.

Der große Gestus hat in den USA eine lange Tradition; weder John F. Kennedy noch Martin Luther King wurde vorgeworfen, sie hätten rhetorisch auch tiefer stapeln können. Obama wird sein Wahlkampf nachgetragen, als müsse man sich für die eigene Ergriffenheit rächen. Viele unerfüllte Versprechen sind jedoch nicht mehr übrig. Selbst zu Guantanamo wird der Kongress sich über kurz oder lang eine andere Lösung einfallen lassen müssen: Ein Gericht hat die meisten ausstehenden Militärprozesse gerade für unrechtmäßig erklärt.

Obama hat sich dem Druck der Kritiker genauso entzogen, wie dem der Fans – er hat sich auf seine Arbeit konzentriert, bis seine Person dahinter verschwand. Die „Hope“- und „Change“-Slogans von 2008 seien eine Zielvorgabe gewesen, hat Obama unlängst gesagt, keine Anleitung zur Revolution. Die Aufgabe einer Regierung bestehe darin, „den Ozeanriesen zwei Grad nördlich oder südlich zu drehen, damit wir uns in zehn Jahren plötzlich an einem ganz anderen Ort wiederfinden.“

„Ich habe Fehler gemacht und sie überlebt“, hat er in einem Interview erklärt. „Und das ist ein extrem befreiendes Gefühl.“

 

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